„Die Kinder können an mir sehen, dass auch ein Mann fürsorglich sein kann“
Iván López Tomé nimmt seit 2015 am ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg - Männer und Frauen in Kitas“ teil. Er ist gelernter Bild- und Tontechniker, wurde in Barcelona geboren und kam 2010 nach Deutschland. Der 39-Jährige lebt in einer Partnerschaft und hat eine zweijährige Tochter. Seine dreijährige Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher macht er in Berlin. An zwei Tagen pro Woche und an einigen Wochenenden besucht er die Euro Akademie. In seiner Klasse sind elf Frauen und elf Männer.
Sie haben sich entschieden, Ihren Beruf zu wechseln und Erzieher zu werden. Was waren Ihre Beweggründe?
In Berlin hatte ich wenige Möglichkeiten, in meinem Beruf zu arbeiten. In Spanien habe ich aber schon Medienworkshops gegeben. Das hat mir Spaß gemacht und ich habe gemerkt, dass ich mich gut mit Kindern verstehe und sie sich gut mit mir. Der Gedanke war immer in meinem Kopf, und in Berlin habe ich ihn dann umgesetzt.
Hatten Sie Bedenken, in einen Beruf zu wechseln, in dem bislang hauptsächlich Frauen arbeiten?
Eigentlich nicht. Ich finde es gut, wenn Berufe aufgebrochen werden. In meinem ersten Beruf habe ich anfangs fast nur in Männerteams gearbeitet. Mittlerweile sind auch viele Frauen beim Film. Das ist gut, ich arbeite gerne in gemischten Teams. Und so sehe ich das bei dem Beruf der Erzieher/innen auch.
Was sagen Ihre Familie und Ihre Freunde/innen zu Ihrer Entscheidung?
Die finden das alle gut. Für meine Eltern ist das ebenso gut, als wenn ich Lehrer werden würde. Denn in anderen Ländern haben Erzieher/innen den Status von Lehrer/innen.
Gibt es noch weitere männliche Erzieher in Ihrer Kita?
Am Anfang war ich alleine. Das war schon komisch. Da hatte ich auch mit Stereotypen zu kämpfen, weil ich zum Beispiel sofort gefragt wurde, ob ich etwas reparieren kann, wenn etwas kaputt ist. Mittlerweile sind noch drei Männer hinzugekommen, was ich toll finde.
Wie reagieren Eltern und Kolleginnen auf einen männlichen Erzieher?
Ich habe bisher nur positives Feedback bekommen. Ich mache die gleiche Arbeit wie alle anderen auch. Viele Eltern haben gesagt, dass sie es toll finden, dass ein Mann in der Kita ist. Und Kinder unterscheiden nicht, ob sie es mit einem Mann oder einer Frau zu tun haben. Für sie zählt, ob sie sich mit einer Person wohl fühlen oder nicht.
Gibt es in Ihrer Kita starre Rollenverteilungen? Werden Sie z.B. von Ihren Kolleginnen zum Fußballspielen aufgefordert? Oder erwartet man beispielsweise von Ihnen, dass Sie sich eher mit den Jungen beschäftigen?
Jain. Die Kinder freuen sich sehr, wenn jemand mit ihnen Fußball spielt. Ich bin der Einzige in der Kita, der das gerne macht. Auch Mädchen spielen Fußball mit mir. Aber ich koche auch gerne mit den Kindern. Manchmal setze ich mir eine Perücke auf und verkleide mich.
Was ist der Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Ich wünsche mir, dass die Kinder ihre Gefühle positiv ausleben. Das versuche ich ihnen zu vermitteln. Vielleicht kann ich ihnen auch etwas von meiner Kultur mitgeben. Ich bin Spanier. Meine Kultur ist in mancher Hinsicht gefühlsbetonter, Körperkontakt oft selbstverständlicher.
Fühlen Sie sich als Mann unsicher in der Arbeit mit kleinen Kindern? Steht das Vorurteil „sexueller Missbrauch“ ungeschrieben im Raum?
Man muss am Anfang sehr vorsichtig sein. Zum Beispiel beim Nachmittagsschlaf, wenn ich die Kinder an- oder ausziehe und dann Mutter oder Vater dazukommen. Da wird nichts gesagt, aber du fühlst den Zweifel im Raum stehen. Fühlst, dass die Eltern sich nicht so wohl fühlen. Ich tue viel, um das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Elternarbeit ist an dem Punkt sehr wichtig. Aber wenn ein Kind auf meinem Schoß sitzen möchte, darf es das. Das habe ich am Anfang schon mit meiner Anleiterin geklärt. Die Kinder möchten das – und ich gehe da ganz selbstverständlich mit um.
Spüren Sie da eine Skepsis seitens der Kolleginnen?
Ein wenig. Beim Wickeln zum Beispiel. Am Anfang habe ich keine Windeln wechseln dürfen, eine Frau hätte das bestimmt schon von Anfang an machen dürfen.
Wird das Thema in der Schule aufgegriffen?
Am ersten Schultag in der Woche sitzen wir in der ersten Stunde immer zusammen und reden darüber, was so passiert ist. Und da ist das bei Männern schon ein Thema.
Würden Sie sich da von Seiten der Schule mehr Unterstützung wünschen?
Ja, aber von der positiven Seite her gesehen. Zum Beispiel: Wie können wir als Männer mit unseren Fähigkeiten arbeiten, nicht von der negativen Warte aus, indem wir thematisieren ob und wie wir diskriminiert werden. Wir sollten unsere Fähigkeiten stärken und positiv nach vorne blicken.
Werden Sie in der Schule auf gendersensible Erziehung vorbereitet?
Ja, darüber haben wir geredet. In meiner Kita können die Kinder entscheiden, was sie spielen wollen. Wenn ein Junge ein rosa Kleid anziehen will, kann er das. Für Kinder aus dem Prenzlauer Berg ist das vielleicht normal, wenn ein Kind beispielsweise aus Berlin-Marzahn kommt, vielleicht weniger. Dann müssen wir mit den Eltern reden, und ihnen erklären, dass wir das in unserer Kita akzeptieren. Wir haben in der Schule darüber geredet, wie man mit den Eltern reden kann.
Ein anderes Thema: Mädchen spielen Fußball und die Jungen lachen darüber. Wir haben auch darüber geredet, wie man damit umgeht. Das ist sehr wichtig.
Warum sind Männer in Kitas wichtig für die Bildung und Entwicklung von Kindern?
Sie können bei mir sehen, dass ein Mann auch kocht und das Gleiche machen kann wie eine Frau. Das ist ein guter Weg zur Gleichberechtigung. Zu zeigen, dass Männer auch fürsorgende Aufgaben übernehmen können. Es sollte auch in der Kirche eine Päpstin geben.
Würden Sie anderen Männern zu einem Quereinstieg raten?
Auf jeden Fall. Wir bringen viel Lebenserfahrung mit und das ist für die Kinder toll. Aufgrund unserer Lebenserfahrung können wir Konflikte leichter oder anders lösen als jüngere Menschen. Und der Beruf macht Spaß. Die Kinder können viel von uns lernen – und wir auch viel von ihnen.
„Männer dürfen nicht weinen“ – Werden Ihnen als Mann auch bestimmte Eigenschaften zugeordnet?
Ja, wie schon gesagt, soll ich ja immer reparieren. Aber ich bin eine Katastrophe mit Bauarbeiten. Ich koche gerne und ich weine auch. Ich finde es wichtig, Gefühle ausdrücken zu können. Männer sind immer stark und weinen nicht, ist ein Klischee. Meine Tochter zum Beispiel, sie ist zwei, liebt Fußball und sammelt Fußballspielerkarten.
Wie sind Ihre Erfahrungen als Spanier in einer deutschen Kita?
Für die Kinder ist das toll. Sie lernen, dass Menschen aus anderen Ländern kommen und trotzdem in Deutschland leben. „Kommst du jeden Tag mit dem Flugzeug zur Kita?“, werde ich gefragt. Ich lerne mit den Kindern spanische Lieder, sie lernen spanische Worte. Mit den Eltern habe ich einen Tapas-Abend gemacht. Es ist bereichernd für alle Seiten. Auch wenn ich nicht perfekt deutsch spreche – den Kindern ist das egal. Auch beim Vorlesen. Was für sie zählt, ist, dass man sich für sie interessiert. Sie wollen diese Energie spüren. Ich habe dort meinen Platz gefunden. In der Gesellschaft der Erwachsenen dagegen spüre ich noch oft, dass ich Ausländer bin.
Wie wichtig ist Diversität in der frühkindlichen Bildung?
Wichtig. Aber das sollte in einer Stadt wie Berlin eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Sie haben während Ihrer Ausbildung zwei Filme gedreht – zu welchen Themen?
Einmal den Film Totem. Den habe ich mit meinen Kollegen/innen gedreht. Ich zeige Porträts. Die Erwachsenen reden mit der Kamera, die das Kind ist. Sie sagen, was wir alle schon mal gesagt haben. So was wie „aus dir wird nie was“. Wer so mit Kindern redet, macht sie kaputt. Das soll der Film verdeutlichen. Erwachsene müssen ihre Sprache ändern. Meine Motivation war, dass wir als Eltern und Erzieher/innen darüber nachdenken, wie wir mit Sprache umgehen.
Der andere Film zeigt Kinder, die ein spanisches Lied und einen spanischen Tanz für das Musikfest Berlin aufführen. Und er zeigt Gespräche mit Kindern – über Ausländer, über Flüchtlinge. Es ist interessant, welche Fragen sie stellen, welche Statements sie abgeben. Sie verbinden Spanien mit Urlaub, Flüchtlinge mit Armut. Meine Motivation war, dass Kinder bei so wichtigen Themen partizipieren sollen. Sie sind nicht so dumm, wie manche immer annehmen.