„Mein Workshop zu Genderthemen startet humorvoll.“

Phillip Diestel im Interview über Humor, Provokation und Aufgeschlossenheit bei Genderthemen in der Ausbildung angehender Erzieher/innen.

Foto: privat.

Phillip Diestel ist Berufsschullehrer für Sozialpädagogik und Evangelische Theologie. Er  hat an der Fachschule in Mölln bis zum letzten Jahr angehende Erzieher/innen unter anderem in Kursen zu gender und cultural studies sowie Religionspädagogik unterrichtet. Heute ist er noch als Referent für den Verein VEbBS e.V. (Vernetzung zur Entfaltung der beruflichen Bildung in der Sozialpädagogik) zu den Fragen Gender und Geschlechtergerechtigkeit tätig und schreibt an seiner Promotion. Im Interview spricht er über das Thema Generalverdacht und wie Schulen das Thema aufgreifen könnten.

Herr Diestel, wie sind Sie zum Thema Gender gekommen?

Ich habe meine Bachelor-Arbeit über Gender und professionelle Männlichkeitsbilder in der Sozialpädagogik geschrieben. Vorher war ich schon in der Jugendarbeit und -hilfe tätig und hatte dort selbst erlebt, dass man als Mann unter einem gewissen Generalverdacht steht. Vor dem Hintergrund habe ich mich dementsprechend wissenschaftlich damit auseinandergesetzt. In meiner Bachelor-Arbeit habe ich herausgefiltert, was Geschlechtlichkeit in Deutschland und im Beruf bedeutet. Ich habe dazu geforscht und für die Fachschule in Mölln ein Workshopkonzept  zum Thema Gender und Geschlechtergerechtigkeit entwickelt.

Das Workshopkonzept ist in der Quereinsteigenden-Klasse umgesetzt worden. Die Rückmeldungen dazu waren überaus positiv. Das ist eher ungewöhnlich. Können Sie uns schildern, was das „Besondere“ an Ihrem Konzept ist? Und wie ist es Ihnen gelungen, die Schüler/innen ins Boot zu holen?

Das Workshopkonzept startet eher humorvoll in der Betrachtung von Stereotypen in der Werbung, die die jeweils scheinbar natürlichen somapsychischen Attributionen der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit sehr gut einfangen. Von dort an nähert man sich der Idee der Konstruktion von Geschlechtlichkeit über die Sprache, einfacher gesagt über Adjektive, deren Zuspruch zur jeweiligen Geschlechtergruppe und deren Bewertung hinterfragt werden, um auf dieser Basis zu einer Selbstreflexion zu kommen. Das ganze wird unterstützt durch Theorien, biografische Erzählungen der Teilnehmer/innen und ganz entscheidend einem provokativen und diskursiven Gesprächsstil, der auch Begriffe wie „Penis“ ganz selbstverständlich benutzt. Es geht grundsätzlich darum, die Teilnehmer/innen herauszufordern und sie mit viel Humor und Empathie aus ihrer Wohlfühlzone herauszulocken, um mit einem Abstand über die eignen teilweise wirklich skurrilen Aufführungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu sprechen.

Was würden Sie vor diesem Hintergrund Fachschullehrer/innen mitgeben, die Genderthemen für den Unterricht aufbereiten wollen?

Kollegen/innen, die sich darauf einlassen wollen, über Gender in ihren Klassen zu sprechen, würde ich raten, zum einen die bestehenden Konstruktionen von Geschlechtlichkeit ernst zu nehmen, da diese immer auch identitätsstiftend für die ihnen anvertrauten Menschen sind. Zum anderen würde ich ihnen aber auch raten diesen Tabubruch, und genau darum geht es ja, über etwas ausführlich zu sprechen, welches in der Regel nicht thematisiert wird, mit Humor, Provokation und Aufgeschlossenheit zu begehen.

Zurück zu Ihrer Forschung. Wie haben Sie persönlich die Ergebnisse im Unterricht umgesetzt? Und haben Sie auch etwas zum Thema Generalverdacht herausbekommen?

Das Spannende beim Generalverdacht ist, dass es wirklich ein schwelender Zustand ist, den man nicht so richtig greifen kann. Er ist nicht auf der Oberfläche zu erkennen und nicht wissenschaftlich herausstellbar, aber er ist trotzdem, wenn man Menschen fragt, erkennbar. Dieses Ergebnis ist als Thema in meine Lehre eingeflossen, als kritische Nachfrage und Reflexionsmoment. Ich habe beobachtet, dass Männlichkeit immer mit Sexualität verbunden wird, die man mit Weiblichkeit nicht verbindet. Das ist ein Missverhältnis, dass bei Männern immer davon ausgegangen wird, sie hätten ein sexuelles Interesse an den Menschen, mit denen sie in Beziehung stehen.

Wurden einige Ihrer Schüler in der Praxis mit dem Thema Generalverdacht konfrontiert und haben das in den Unterricht getragen?

Teils teils, einige berichteten davon, dass es kein Thema war und waren eher überrascht von der Frage. Andere erzählten, dass sie zum Beispiel aufgefordert wurden, nicht zu wickeln oder dass immer eine andere Person mit im Raum sein sollte, weil es diesen unterschwelligen Generalverdacht gab. Er wurde zwar nicht benannt, stand aber im Raum.

Welche Ratschläge haben Sie für die Praxis?

Es gibt kein Generalkonzept. Jede Einrichtung muss gucken, wie sie damit umgeht. Mein Rat ist, dass man zum einen erst einmal Transparenz herstellt und das Thema anspricht. Was bedeutet eine Zusammenarbeit von unterschiedlichen Geschlechtern? Was bedeutet es überhaupt, wenn unterschiedliche Menschen zusammenarbeiten? Vielleicht bringt ein Mann, der neu in die Kita kommt ja gar nicht die Eigenschaften, wie handwerkliche Begabung, Rationalität oder Fußballspieler mit, die ihm als Mann zugesprochen werden. Deshalb sollte man darüber reden, dass Vorurteile gegenüber Gruppen nicht funktionieren. An so einer Diskussion hängt mehr als nur das Thema Generalverdacht. Auf der anderen Seite steht die Thematisierung von Sexualität oder sexualisierter Vorurteilshaltung. Darüber muss man diskutieren und sie transparent machen, als ersten Schritt im Team, und dann die Diskussion nach außen tragen: Da gibt es einen Vorwurf, der steht im Raum und dem wollen wir offen begegnen.

Wie können Schulen das Thema aufgreifen?

Ich hoffe, dass alle Schulen das Thema aufgreifen, ich weiß es aus Mölln und aus eigener Erfahrung, da ich viele Erzieher/innen in ihrer Ausbildung – auch durch die Workshops gender studies und Geschlechtlichkeit, die ich dort gemacht habe –, begleiten durfte, dass es Thema ist. Da wurden Fragen zum Thema Generalverdacht gestellt und ich weiß auch von Kolleginnen und Kollegen, dass die Querschnittdimension von Geschlecht für die berufliche Identität Thema sein müsste. Man sollte in den Schulen über den Generalverdacht sprechen, aber auch insgesamt über Geschlechtlichkeit. Wenn man nur vom Generalverdacht gegenüber Männern spricht, vergisst man auch ganz schnell, dass man eine große Gruppe von Menschen ausschließt, denn: Was bedeutet Geschlechtlichkeit von Frauen in Kitas? Die Frage wird nicht gestellt, weil beim Thema Generalverdacht davon ausgegangen wird, dass Frauen kein sexuelles Interesse haben. Ich gehe nicht davon aus, dass sie es haben, Männer aber auch nicht. Aber die Frage wird erst gar nicht gestellt. Insgesamt ist es eine Frage der biografischen Reflexion: Mit welcher Motivation gehe ich in eine Kita und mit welcher Motivation möchte ich mit Menschen interagieren? Wenn ich den Beruf wähle, weil ich ganz viel Nähe zu einem Kind haben möchte – muss ich mir die Frage stellen, in wie weit die Nähe auch von dem Kind gewünscht wird. Diese Distanz zu finden, dafür eine Sensibilität herzustellen, ist auch Aufgabe der Erzieher/innen-Ausbildung,

Welche Themen brennen den Schülerinnen und Schülern noch unter den Nägeln?

Es ist immer wieder die Frage: Erziehe ich geschlechtlich oder nicht geschlechtlich? Sollte ich den Kindern alle mögliche Freiheit oder bestimmte Rollenvorbilder geben? Bei Fragen um Geschlechtlichkeit steht auch die Frage der Manipulation im Raum. Das beginnt bei Kleinigkeiten wie dem blau-rosa Konflikt. Dürfen Jungen rosa tragen oder nicht? Es sind Kleinigkeiten, die essentielle Bedeutung bekommen, wenn man sie in den Generalkontext stellt. Was ist sozusagen das Idealbild von Geschlechtlichkeit, von Männlichkeit, von Weiblichkeit, die in den Kita als Möglichkeit der Erziehung vorangestellt werden?

Haben die meist älteren Quereinsteigenden gefestigte Genderbilder, gibt es da mehr Reflexionsbedarf?

Sicher haben Schüler/innen eine bestimmte Vorstellung von Lebenswelten. Aber es ist Aufgabe von Schulen unter der Genderperspektive viele Lebenswelten herauszufordern und die Möglichkeit von Vielfalt und Andersartigkeit herauszustellen. Ich habe festgestellt, dass Quereinsteiger/innen, die mit mehr Lebenserfahrung in den Beruf hereinkommen, reflektierter sind als Schüler/innen der jüngeren Klassen, die relativ früh mit ihrer Ausbildung starten. Die Quereinsteigenden bringen schon eher Fragen mit, zum Beispiel ob sie ein Kind in die Bauecke schicken sollen, wenn es sich nur in der Puppenecke aufhält. Da geht es schon eher um Ideen der Vielfalt, sie haben einfach Lust auf Reflexion. Klar haben sie einerseits auch klarere Vorstellungen von dem wer sie sein wollen und wer sie innerhalb der Geschlechteridentität sind. Andererseits haben sie aber auch den Wunsch, sich neu kennenzulernen, denn für sie ist der Quereinstieg ein neuer biografischer Abschnitt, sie haben sich für ein neues Berufsfeld entschieden, in dem sie mit Menschen zusammenarbeiten. In dem Zusammenhang ist es interessant, sich neu kennenzulernen: Wer bin ich in dem neuen Kontext? Und deswegen haben sie häufiger eine höhere Bereitschaft, sich selbst zu hinterfragen, natürlich immer an den Grenzen der Traditionen, die sie mitbringen, aber das ist ja auch ok und selbstverständlich.

 

 

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