Dr. Daniela Mayer
Dr. Daniela Mayer ist wissenschaftliche Referentin am Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) München. In ihrer jüngsten Publikation interpretiert sie Ergebnisse der NUBBEK-Studie zu Qualitätsdimensionen in der Kindertagesbetreuung aus bindungstheoretischer Sicht.
Frau Mayer, Sie haben untersucht, inwiefern die Qualität der Erzieher/in-Kind-Beziehung im Zusammenhang steht mit der Entwicklung von vierjährigen Kindern in den Bereichen Sprache und sozial-emotionale Kompetenzen. Dabei haben Sie den Zusammenhang differenziert nach Geschlecht und Migrationshintergrund ausgewertet.
Welches sind die zentralen Ergebnisse?
In der NUBBEK-Studie bestanden Geschlechts- und Migrationseffekte in der Qualität der Erzieherin- Kind-Beziehung dahingehend, dass Erzieherinnen häufiger von positiven Beziehungen zu Mädchen und zu Kindern ohne Migrationshintergrund berichteten. Die NUBBEK-Studie zeigte außerdem, dass die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung einen signifikanten Effekt auf die Entwicklung von Kindern hat: Kinder mit einer hohen Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität zeigten die höchsten Werte im rezeptiven Wortschatz in Deutsch, in Kommunikationsfertigkeiten und sozial-emotionalen Kompetenzen sowie die niedrigsten Werte im Problemverhalten. Dieser Effekt bestand auch bei Kontrolle von zentralen familiären Hintergrundvariablen, wie die Bildung der Mutter, der sozioökonomische Status der Familie und die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung, für die sich ebenfalls positive Zusammenhänge mit der kindlichen Entwicklung zeigten. Darüber hinaus zeigten sich differentielle Zusammenhänge für fast alle untersuchten Entwicklungsbereiche: Im rezeptiven Wortschatz in Deutsch und in den Kommunikationsfertigkeiten in Alltagssituationen profitierten insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund von einer hohen Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung, wobei die Ergebnisse darauf hindeuten, dass hier insbesondere bei Jungen mit Migrationshintergrund positive Effekte auftreten können. Im Bereich der sozial-emotionalen Kompetenzen wurde ein differentieller Zusammenhang dahingehend gefunden, dass insbesondere Jungen von einer hohen Qualität der Beziehung zur Erzieherin profitierten. Die Ergebnisse der NUBBEK-Studie sind konsistent mit nationalen und internationalen Studien.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die Ausbildung von Erzieher/innen und Kindheitspädagog/innen?
In der Ausbildung von ErzieherInnen und KindheitspädagogInnen sollte ein Schwerpunkt auf die Gestaltung von vertrauensvollen Beziehungs- und Interaktionsangeboten in der Kindertagesbetreuung gelegt werden. Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Vermittlung von grundlegenden Erkenntnissen der Bindungstheorie und -forschung und deren Transfermöglichkeiten für die praktische Arbeit mit Kindern – mit dem Ziel die ErzieherInnen und KindheitspädagogInnen für die emotionalen Bedürfnisse der Kinder zu sensibilisieren und ihnen Handlungswissen für die Gestaltung von vertrauensvollen und unterstützenden Fachkraft-Kind-Beziehungen und feinfühligen Interaktionen an die Hand zu geben. Als professionelle Haltung sollte die Selbstreflexion über potentielle Unterschiede in Beziehungsaufbau und -gestaltung zu Mädchen und Jungen bzw. zu Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in die Ausbildung und Praxis integriert werden. So können die Bildungschancen von Kindern, zu denen es ErzieherInnen im Durchschnitt weniger gut gelingt, positive Beziehungen aufzubauen, verbessert werden – damit Bildungsgerechtigkeit bereits in der Krippe und im Kindergarten beginnt.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für die pädagogische Praxis in der Kita?
Die Ergebnisse der NUBBEK-Studie unterstreichen die Bedeutung der Beziehungsqualität zwischen ErzieherInnen und Kindern für die kindliche Entwicklung. Bildungsangebote in Kindertageseinrichtungen werden nur dann vom Kind wirklich angenommen, wenn sie in funktionierende Beziehungen zu den ErzieherInnen eingebettet sind. Maßnahmen im Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung sind kontraproduktiv, wenn sie den Beziehungsaspekt außer Acht lassen und nur auf einzelne Fähigkeitsbereiche (z.B. Literacy, Numeracy, Naturwissenschaften) abzielen. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass gerade die Kindergruppen (Jungen, Kinder mit Migrationshintergrund), die im Durchschnitt weniger positive Beziehungen zur ErzieherInnen haben, in ihrer Entwicklung besonders von einer guten ErzieherIn-Kind-Beziehung profitieren. Deshalb ist es wichtig, dass ErzieherInnen bei der Beziehungsgestaltung ganz bewusst versuchen, besonders auch zu diesen Kindern eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen.
Können Sie Aussagen darüber machen, ob mehr männliche Fachkräfte oder mehr Fachkräfte mit Migrationshintergrund sich in diesem Kontext positiv auswirken würden?
Aus der NUBBEK-Studie liegen dazu keine Daten vor, da bei Studien mit repräsentativen Stichproben die Fallzahl an männlichen Fachkräften zu gering ist. Auch bei Fachkräften mit Migrationshintergrund ist anzunehmen, dass es nur dann für die Kinder förderlich wäre, wenn beide den gleichen Migrationshintergrund hätten – auch hierfür sind die Fallzahlen in der NUBBEK-Studie zu klein.
Aus bindungstheoretischer Sicht ist allerdings nicht so sehr das Geschlecht oder der Migrationshintergrund der betreuenden Fachkraft von Bedeutung für den Aufbau einer emotional vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung, sondern vor allem ihr feinfühliges Verhalten gegenüber den kindlichen Signalen und Bedürfnissen. Dabei bedeutet Feinfühligkeit, die Signale des Kindes wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und prompt sowie angemessen darauf zu reagieren. Dies kann nur gelingen, wenn die Betreuungsperson auch die Perspektive des Kindes in ihr Handeln miteinbezieht. Dazu ist es notwendig, dass sie sich in die Lage des Kindes hinein versetzen und es als eigenständige Person mit eigenen Bedürfnissen und Absichten wahrnehmen kann. Feinfühligkeit steht im Zusammenhang mit positiver kindlicher Entwicklung in verschiedenen Entwicklungsbereichen.
Vielen Dank für das Interview!