12.11.2018

Neue Studie: Kitas im Aufbruch - Männer in Kitas

Die Rolle von Kitas aus Sicht von Eltern und pädagogischen Fachkräften. Sozialwissenschaftliche Repräsentativerhebung der DELTA-Institut für Sozial- und Ökologieforschung GmbH im Auftrag und in Kooperation mit der Koordinationsstelle ‚Chance Quereinstieg/Männer in Kitas‘

Im Jahr 2010 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) die Studie Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten veröffentlicht. Die 2008 gestartete Untersuchung war der Ausgangspunkt für die Schaffung der Koordinationsstelle Männer in Kitas. Mit dem 2011 vom BMFSFJ initiierten Modellprogramm MEHR Männer in Kitas sowie dem aktuellen Modellprojekt Chance Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas wurde eine Gleichstellungspolitik verfolgt, die Männer und Frauen adressiert und zur Aufwertung professioneller Sorgearbeit beiträgt. Darüber hinaus war das Ziel, eine gender- und diversitätsbewusste Öffnung zu erreichen und Personengruppen für eine Tätigkeit im Feld der Frühpädagogik zu interessieren, die bisher unterrepräsentiert sind.

Um zu untersuchen, wie sich sowohl die Situation von männlichen Fachkräften in Kitas als auch die Einstellungen, Einschätzungen und der geschlechtsbezogene Umgang bei relevanten Akteurinnen und Akteuren im Berufsfeld verändert haben, wurde zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung zum Thema Männer als Fachkräfte in Kitas vom BMFSFJ eine Wiederholungsstudie zehn angestoßen. Diese Follow-UP-Studie wurde in zwei Studien unterteilt. Die erste ist eine quantitative Repräsentativbefragung der DELTA-Institut für Sozial- und Ökologieforschung GmbH, die von Prof. Dr. Carsten Wippermann durchgeführt wurde. Die Studie mit dem Titel Kitas im Aufbruch – Männer in Kitas. Die Rolle von Kitas aus Sicht von Eltern und pädagogischen Fachkräften wird in Kürze von der Koordinationsstelle online veröffentlicht. Mit dieser Studie liegt erstmals eine repräsentative Übersicht über die Milieuzugehörigkeit [DELTA-Milieus®] von Eltern mit Kindern zwischen 0-6 Jahren und von pädagogischen Fachkräften in Kindertagesstätten vor. 

Die zweite Teilstudie wird von der Koordinationsstelle mit einem qualitativ-rekonstruktiven Forschungsdesign durchgeführt und im Sommer 2019 in der Reihe „Studien zu Differenz, Bildung und Kultur“ im Budrich Verlag veröffentlicht. 

Eine Auswahl der Ergebnisse aus der quantitativen Repräsentativerhebung

Im Folgenden wird aus der Studie berichtet bzw. zitiert, die uns von Prof. Dr. Carsten Wippermann vorliegt.

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Im Zentrum der Untersuchung standen Fragen nach den Einstellungen von Müttern und Vätern, deren Kinder aktuell eine Kita besuchen sowie männlicher und weiblicher pädagogischer Fachkräfte, inklusive Personen mit Leitungsfunktion (vgl. Wippermann 2018, S. 15).

In der Studie finden sich außerdem Ausführungen zur Milieuvielfalt der Eltern und deren Erziehungsziele und Erwartungen an Krippen und Kitas. Wie weiter oben schon berichtet, liegen auch erstmals Ausführungen zur Milieustruktur der pädagogischen Fachkräfte und der Kitaleitungen vor [DELTA-Milieus®]. Beschrieben werden in diesem Zusammenhang auch Konfliktpotenziale bzw. Herausforderungen, die daraus entstehen können, wenn Eltern und pädagogisches Personal aus unterschiedlichen Milieus kommen und unterschiedliche bis hin zu gegensätzliche Vorstellungen bezüglich der Erziehung haben.

Dabei wissen Eltern in der Regel genau, was für sie die passende und für ihr Kind „richtige“ Erziehung ist. Ebenso haben Erzieherinnen und Erzieher eine professionelle pädagogische Kompetenz, die sich von der der Eltern unterscheidet. Zugleich sind pädagogische Fachkräfte in ihren Vorstellungen von Erziehung geprägt von ihrem eigenen Milieu. Das hat neben der professionellen Ausbildung ebenfalls Einfluss auf ihre theoretischen Vorstellungen der erzieherischen Praxis. Beide „Parteien“ – Eltern und Fachkräfte – stehen in einem asymmetrischen Autoritätsverhältnis zueinander: Eltern gegenüber ihrem Dienstleister Kita; die Fachkräfte gegenüber den Eltern als Laien. Je nach Milieuherkunft von Eltern und Fachkraft bietet dies in konkreten Situationen ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial.

Konfliktpotenzial besteht nicht nur zwischen Eltern und Fachkräften, sondern auch, wenn in einer Kita-Einrichtung die Milieuheterogenität der Eltern sehr groß ist, die Anforderungen von Eltern aus verschiedenen Milieus nicht harmonisiert werden (können) und seitens der Einrichtung nicht professionell aufgenommen und moderiert werden. Gerade weil Milieus in einem sozialhierarchischen Verhältnis zueinander stehen, haben Eltern aus gehobenen Milieus mehr Mittel und Macht (Bildung, Sprache, Durchsetzungsstärke, Habitus), ihre Vorstellungen an die Kita-Leitung und Fachkräfte zu kommunizieren, sodass sich andere Eltern weniger ernst genommen oder benachteiligt fühlen können (oder faktisch werden) (Wippermann 2018, S. 48ff.).

Neben der Milieustrukturbeschreibung von Eltern und pädagogischen Fachkräften stehen das berufliche Wohlgefühl der pädagogischen Fachkräfte, deren Wünsche nach Veränderung sowie eigene Erwartungen an geschlechtsbezogenen Kompetenzen im Vordergrund der Studie. Darüber hinaus werden Einstellungen zu unterschiedlichen gleichstellungspolitischen Fragestellungen erhoben: Die Bedeutung von Kitas für die Berufstätigkeit von Müttern und Vätern wird ebenso thematisiert, wie die Einstellungen der Eltern zu Männern als Fachkräften in Kitas und zu den Öffnungszeiten von Krippen, Kitas und Horten. Und nicht zuletzt wird auch die gesellschaftliche Wertschätzung von Sozial- und Gesundheitsberufen aus Sicht der Eltern und der pädagogischen Fachkräfte erhoben.

Weitere Ergebnisse der Studie in Kürze:

Vor dem Hintergrund der Daten zum geringen Männeranteil am pädagogischen Personal in Kinderkrippen 3 %, in Kindergärten 5 % und in Horten für schulpflichtige Kinder 15 % (vgl. Deutsches Jugendinstitut / Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017, S. 146 und S. 151) sind 78 % der Eltern der Meinung, dass Kinder sowohl von weiblichen als auch von männlichen Fachkräften professionell betreut werden sollten. Für Kindergärten fordern 57 % der Eltern, für Kinderkrippen 52 % der Eltern und für Horte 62 % der Eltern, dass es dort jeweils (viel) mehr Männer als pädagogische Fachkräfte als heute geben sollte. 62 % der Eltern sind der Auffassung, die Politik sollte sich weiterhin dafür einsetzen, mehr  Erzieher für Kitas zu gewinnen.

Die Einstellungen der pädagogischen Fachkräfte zu Männern als Fachkräfte in der frühen Bildung sind noch positiver. Von allen Kita-Fachkräften sind 98 % der Auffassung, dass es (viel) mehr Männer in Kindergärten und Horten geben sollte, sowie 84 %, dass es auch in Kinderkrippen (viel) mehr männliche Fachkräfte geben sollte. Über 90 % der Fachkräfte sind der Auffassung, dass männliche Erzieher für die Entwicklung von Jungen und auch für die Entwicklung von Mädchen wichtig sind und neue wichtige Impulse für die pädagogische Arbeit in die Kita einbringen. Ebenso betonen die pädagogischen Fachkräfte die Bedeutung von Männern zur Dämpfung des Fachkräftemangels (87%) und die darüber hinausreichende Signalwirkung, dass Männer auch soziale Berufe ergreifen (96%).

Von allen Fachkräften in Kitas sind 70% überzeugt, dass Kitas mit  Erziehern für Eltern attraktiver sind als Einrichtungen nur mit Erzieherinnen. Von den Fachkräften, die in Kitas mit derzeit schon mindestens einer männlichen Fachkraft arbeiten, sind sogar 82% von der Attraktivitätssteigerung der Kita durch Männer im Team überzeugt. So verwundert es auch nicht, dass in den letzten Jahren immer mehr Einrichtungen aktiv zur Erhöhung ihres Männeranteils beitragen: 49% der Einrichtungen haben eigene Maßnahmen unternommen, um den Anteil der Männer zu erhöhen. 2009 betrug dieser Anteil nur 32%. Darüber hinaus, wird die These, Männer seien für den Erzieher/innenberuf weniger geeignet als Frauen, von 95% der weiblichen und 97% der männlichen Fachkräfte in Kitas abgelehnt – mehrheitlich mit großer Entschiedenheit. Das biologische Geschlecht ist nach ihrer Auffassung und beruflicher Alltagserfahrung keine Prädisposition, die per se qualifiziert oder dequalifiziert  (vgl. Wippermann 2018, S. 20ff.).