21.06.2016

Stormarn - AWO

„Wir möchten einen Bildungsfonds einrichten. Die Idee ist im Kontext des Bundesmodellprogramms entstanden. So sollen finanzielle Mittel für die künftige Finanzierung der Erzieherausbildung zur Verfügung gestellt werden.“ Interview mit Tobias Reichardt.

„Es würde keinen Personalmangel geben, wenn wir die Ausbildung generell vergüten könnten.“ Tobias Reichardt | Foto: privat.

Seitdem Kommunen auch für unter Dreijährige eine Betreuung anbieten müssen, ist der Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern massiv gewachsen. Fachkräfte werden dringend benötigt. So auch in einigen Regionen Schleswig-Holsteins. „Der Bedarf wird in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach weiter steigen, durch Altersabgänge, durch den Aufwuchs der U3 Betreuung und durch Zuwanderungsbewegungen“, so Christian Kohl vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein.

Tobias Reichardt, der für die Arbeiterwohlfahrt in Stormarn (Schleswig-Holstein) für das ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ arbeitet, beklagt den Fachkräftemangel nicht nur. In einem Arbeitskreis, in dem Vertreter der verschiedenen in Stormarn tätigen Träger sowie die Heimaufsicht des Kreises sitzen, wurde eine Idee erarbeitet, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Sie hat sich aus dem ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ und seinem Ansatz, Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger während ihrer Ausbildung zu bezahlen, entwickelt. Die AWO Stormarn möchte einen Bildungsfonds für die Region ins Leben rufen. Dieser soll es Kindertageseinrichtungen ermöglichen, bezahlte Ausbildungsplätze zu stellen. Darüber, wie diese Idee praktisch umgesetzt werden könnte und welche ersten Erfolge bereits erzielt wurden, spricht Tobias Reichardt mit der Newsletter-Redaktion.

Herr Reichardt, Sie fordern, dass Erzieher für ihre Ausbildung Geld erhalten sollen…

Ja, einerseits geht es uns um die kurzfristige Finanzierung des ESF-Bundesmodellprogramms „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“. Andererseits geht es darum, dauerhaft eine finanzierte Erzieherausbildung zu gewährleisten. Der Hintergrund ist, dass bei uns in Stormarn die Projektfinanzierung noch nicht gesichert ist. Der ESF fördert das Modellprojekt zwar, aber es bleibt ein Betrag, der von den einzelnen Kommunen finanziert werden muss. Und davon haben wir in Stormarn eine ganze Menge, die alle einzeln davon überzeugt werden müssen. Das Projekt ist zwar schon gestartet, aber wir müssen weiter die Finanzierung jeder einzelnen Stelle erarbeiten. Darüber hinaus wünschen wir uns eine langfristige Lösung für die Erzieherausbildung .

Warum?

Wir stellen seit mehreren Jahren fest, dass Stellen in den von uns getragenen Kindertageseinrichtungen nicht zeitnah durch pädagogisch geschulte Fachkräfte besetzt werden können. Und das, obwohl – wie wir an der enormen Nachfrage nach einem Platz in unserem Projekt bemerken – viele Personen eine hohe Motivation haben, den Beruf der Erzieherin/des Erziehers zu ergreifen. Ein Ausbildungshindernis könnte die fehlende Vergütung in der dreijährigen Ausbildungszeit sein, die auch besonders Quereinsteigende betrifft. Viele, die sich für den Beruf interessieren, nehmen Abstand, sobald sie ihre finanzielle Situation erfassen.

Und wie wollen Sie dem entgegenwirken?

Wir möchten einen Bildungsfonds einrichten. Die Idee ist im Kontext des Bundesmodellprogramms entstanden. So sollen finanzielle Mittel für die künftige Finanzierung der Erzieherausbildung zur Verfügung gestellt werden. Aus dem Arbeitskreis heraus, der sich ausgehend vom Arbeitskreis der freien Wohlfahrtsverbände in Stormarn gebildet hat, haben wir uns überlegt, dass die Kommunen die Stellen für Erzieherinnen und Erzieher in Kitas refinanzieren sollten.

Wie soll das praktisch aussehen?

Die Kommunen sparen beispielsweise jedes Jahr sehr viel Geld dadurch ein, dass Stellen nicht besetzt sind. Aufgrund von langfristigen Erkrankungen oder weil keine geeigneten Personen gefunden werden. Aufgrund des Personalmangels sparen sie also viel Geld ein. Unsere Vorstellung ist, dass dieses Geld in den Bildungsfonds eingezahlt wird, das heißt, dem System zurückgegeben wird und so im System bleibt.

Und dadurch soll Personalmangel abgebaut werden?

Ja, genau. Ich denke, dass ein Hauptgrund für den Personalmangel in der Ausbildung liegt. Ein Beweis: Wir haben für die rund 25 Stellen, die wir für das ESF-Bundesmodellprogramm im nächsten Jahr zur Verfügung haben, über 140 Bewerbungen bekommen. Das heißt, es würde keinen Personalmangel geben, wenn wir die Ausbildung generell vergüten könnten.

Doch wenn dann alle die Ausbildung machen und die Stellen besetzt werden, gäbe es ja keinen Personalmangel mehr und somit würde der Bildungsfonds versiegen…

Das wäre ja dann ein sich selbst regulierendes System: Je größer die Personalknappheit, desto mehr Mittel fließen der Ausbildung zu. Aber wir haben auch andere Ideen, wie Geld in den Fonds fließen könnte. So könnten sogenannte Restmittel der Kommunen, aufgrund nicht besetzter Mindestpersonalstunden und daher nicht bei Städten abgerechneter Personalkosten einfließen. Oder auch „Restmittel“ des Landes durch nicht abgerufene unterschiedliche Förderungen für Qualitätsmanagement oder Fachberatung beispielsweise. Zudem könnten auch erzielte Überschüsse der Gemeinden durch jahrelange Überbelegung der Gruppen – ohne Personalanpassung und ohne Berücksichtigung des höheren Teilers bei der Berechnung der Elternbeiträge – zurückfließen. Und zuletzt könnten auch Eigenmittel der Träger in Betracht gezogen werden.

Sind Sie mit Ihrer Idee schon an die Politik herangetreten?

Ja, einen ersten Versuch haben wir gemacht, indem wir zwei Städte angeschrieben haben, die wir für relativ offen halten. Und wir haben auch zwei Antworten bekommen: Die eine Antwort lautet „Nein, wir stimmen dem Vorhaben nicht zu“, die andere „Wird im nächsten Sozialausschuss diskutiert“. Auch wenn die ersten Reaktionen also zögerlich oder ablehnend sind, können wir trotzdem langfristig etwas bewegen. Denn es dauert lange, bis der Gedanke der Notwendigkeit, die Ausbildung zu finanzieren, auf fruchtbaren Boden fällt. Es kann auch durchaus sein, dass der Plan am Ende so gar nicht umgesetzt wird, sondern nur Gedanken angestoßen und dazu geführt hat, dass das Problem der Finanzierung von Ausbildung allen bewusst geworden ist. Langfristig sollte die jetzt schulische Ausbildung in eine im weitesten Sinne duale Ausbildung überführt werden. Wie dies in anderen Berufen selbstverständlich ist.

Wie lange ist Ihr Atem?

Ein solcher Veränderungsprozess braucht lange. Der Notstand jedoch ist so enorm, dass neben den anderen Akteuren schließlich auch die finanzierenden Kommunen gezwungen sein werden, sich mit dem Gedanken an eine andere Form der Ausbildung auseinanderzusetzen. Unser Ansatz hat schon jetzt dazu beigetragen, dass sich die Ausschüsse damit befassen. Steter Tropfen höhlt den Stein, deswegen haben wir langfristig eine Chance.

Vielen Dank für das Interview!