„Das Thema „Männer in Kitas“ muss intensiver bearbeitet werden!“
Darf ich mich vorstellen?
Seit dem 1. Juli 2017 bin ich als Vorstand Sozial- und Fachpolitik des Deutschen Caritasverbandes mit allen Fragen der Wohlfahrtspflege – von den Kitas bis zur Altenhilfe – befasst. Das Thema „Männer als Erzieher“ begleitet mich aber schon seit meiner Zeit im Bundesfamilienministerium: Von 2006 bis 2013 war ich dort Leiterin der Abteilung Gleichstellung. Spannend finde ich es, die beruflichen Erfahrungen bei diesem Thema mit den privaten Eindrücken abzugleichen. Zwei meiner drei Enkel sind inzwischen in der Kita und finden männliche Erzieher erkennbar ganz normal. So wie sie auch zuhause alltäglich normal erleben, dass ihre Väter nicht nur Fahrräder reparieren, sondern auch Babys wickeln und Abendessen kochen.
An welches Erlebnis mit der Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg / Männer in Kitas“ denken Sie gerne zurück?
Nach der Einführung der Vätermonate beim Elterngeld durch Ministerin Ursula von der Leyen 2007 war es nur logisch, dass wir uns im Familienministerium mit der Frage beschäftigten, was es braucht, damit auch außerhalb der Familie Care-Aufgaben weniger geschlechterstereotyp zwischen Frauen und Männern verteilt werden. Das Programm „Mehr Männer in Kitas“ war dabei ein wichtiger Baustein. Um hier erfolgreich Weichen zu stellen, bedurfte es wissenschaftlicher Unterstützung – die Katholische Hochschule Berlin und Sinus Sociovision waren unsere Partner bei der Erarbeitung der ersten Studie „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten“. Ich erinnere mich an die intensive Abklärung der für die politischen Entscheidungen relevanten Fragen und an die engagierten Diskussionen darüber, welche Schlüsse aus den Befunden der Studie für ein Förderprogramm zu ziehen waren. Die Tatsache, dass katholische Träger männlichen Erziehern 2010 zurückhaltender gegenüberstanden als andere Träger, hat sich mir mit einer gewissen Trauer eingebrannt (dass „Kinder sowohl von männlichen als auch von weiblichen Fachkräften betreut werden“ sollten, unterstützten 58% der katholischen, 75% aller Trägerverantwortlichen).
Intensive Auseinandersetzung erforderten die Ergebnisse zur Akzeptanz männlicher Erzieher auf der einen Seite, zum Thema sexueller Missbrauch andererseits. Zwei Drittel der Eltern stimmten 2010 der Aussage voll und ganz zu, dass sie ihr Kind „bedenkenlos einem männlichen Erzieher anvertrauen“ würden, ein Drittel gab an, Kitas, in denen männliche Erzieher arbeiten, attraktiver zu finden. Gleichzeitig bestätigten 42% der Eltern, schon einmal – mehr oder weniger intensiv – an die Gefahr eines möglichen Missbrauchs durch männliche Erzieher gedacht zu haben. Das Fazit der Studienautoren damals lautete: „Bei der Zustimmung zu Männern als Erzieher handelt es sich nicht um eine naive, unreflektierte Zustimmung, sondern um eine Zustimmung im Bewusstsein der besonderen Herausforderung, die durch die Missbrauchsthematik gegeben ist“. Dieser besonderen Herausforderung waren sich auch die Verantwortlichen des Programms sehr bewusst.
Wir haben vor einigen Jahren bzgl. des Themenfelds „Männer in Kitas“ in Kontakt gestanden. Wie hat sich das Themenfeld in den letzten Jahren entwickelt?
Für mich ist das Thema „Männer in Kitas“ ein dauerhaft zentrales Thema einer modernen Gleichstellungspolitik. Der erste Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat 2011 Gleichstellungspolitik in Lebensverlaufsperspektive entwickelt, der zweite Gleichstellungsbericht hat das Konzept weiter entwickelt und mit dem Gender Care Gap ein Instrument vorgelegt, das die Frage nach der ungleichen Verteilung von Care-Aufgaben zwischen Männern und Frauen gezielt in den Fokus rückt: Die genderstereotype Zuschreibung von Zuständigkeiten für Care-Aufgaben ist ein Dauerbrenner unter den großen Hindernissen echter Gleichberechtigung von Frauen und Männern! Das Themenfeld „Männer in Kitas“ hätte nach meinem Eindruck noch intensiver in diesem Kontext bearbeitet werden können und müssen; manchmal schien es mir zuletzt ein wenig zu sehr unter die Überschrift „Fachkräftemangel in den sozialen Dienstleistungsberufen“ zu rutschen.
Was braucht es künftig für das Themenfeld „Männer in Kitas“?
Fürsorge, Bildung und Erziehung sind als gesellschaftliche Aufgaben in besonderer Weise vom gesellschaftlichen Wandel betroffen. Teilhabechancen entscheiden sich unter den Vorzeichen digitaler Transformation ganz elementar an Bildungschancen. Daher muss das Themenfeld „Männer in Kitas“ eingebettet sein in eine reflexive konzeptionelle Weiterentwicklung von Bildung im Lebensverlauf. Stichwort: Hyperindividualisierung in der Netzwerkgesellschaft. Dabei sehen wir: Im hybriden Sozialraum sind Ort und Zeit nicht nur für Eltern entgrenzt, auch Kinder werden von der Omnipräsenz des Smartphones berührt. Hier drohen nach meinem Eindruck neue sich potenzierende Genderstereotype – wie überhaupt in der rosa-blau fein säuberlich geteilten Konsumwelt des 21. Jahrhunderts. Wenn es schon für 3-Jährige nur noch Mädchen- oder Jungenunterwäsche gibt (bei uns war da nach meiner Erinnerung bis zur Schule unisex angesagt), dann macht das die Aufgabe der Kita nicht einfacher, Kinder zu starken Mädchen und starken Jungen zu erziehen – jenseits tradierter Geschlechterstereotype. Es geht bei der Frage nach unterschiedlichen Erzieher_innenpersönlichkeiten, denen Kinder in den Kitas begegnen, also ganz generell um die Vorbereitung auf den souveränen Umgang mit Vielfalt.