„In jedem Neuanfang steckt etwas Schönes“
Suat Karcin studiert an der Berliner Euro Akademie und arbeitet in einem Hort. Im Interview erzählt er, wie es zu seinem vorübergehenden Ausbildungsabbruch kam, und wie er den Weg in die Ausbildung zurückfand.
Bei Ausbildungsstart träumten Sie davon, Kindern, denen es schlechter geht, zu zeigen, dass es auch für sie Möglichkeiten in der Gesellschaft gibt, etwas zu erreichen. Konnten Sie diesem Traum in Ihrer praktischen Arbeit näher kommen?
Schrittchenweise. Die ersten eineinhalb Jahre war ich in der Kita und dort waren viele Kinder mit türkischem Migrationshintergrund. Dadurch, dass ich türkisch spreche, konnte ich vielen Eltern helfen, die die deutsche Sprache nicht so gut können. Die wiederum konnten so die Situationen besser einschätzen. Dadurch habe ich letztendlich auch den Kindern geholfen. Jedoch Kindern zu helfen, die von zu Hause aus Schwierigkeiten haben, konnte ich bislang noch nicht so richtig umsetzen. Jetzt arbeite ich zum Beispiel in einem Hort, wo die meisten Eltern darauf achten, dass es ihren Kindern gut geht. Ich arbeite nicht in einem sozialen Brennpunkt. Das könnte ich mir für die Zukunft vorstellen.
Als Ehemann und Vater hatten Sie zudem auf eine familienfreundliche Ausbildung gesetzt. Hat sich das erfüllt?
Im Prinzip schon. Dadurch dass ich eine Sechstagewoche habe, ist es natürlich schwierig, das einzuhalten. Meinen Sohn sehe ich erst am späten Nachmittag, weil er in einen Schülerladen geht. Ansonsten kann ich am Samstag leider nicht mit ihm auf Turniere gehen. Mein Sohn ist Fußballer und Ringer. Das vermisse ich. Aber ich habe mir die Priorität gesetzt, dass ich die Ausbildung fertig machen möchte. Wenn ich die Ausbildung jedoch vergleiche mit der Arbeit, die ich vorher im Hotel hatte, ist es jetzt viel entspannter, was die Arbeitszeiten angeht.
Was waren die Höhen und was waren die Tiefen Ihrer Ausbildung?
Das Schönste war erstmal, dass ich in das Projekt mit hinein durfte. Als besonders schön habe ich den Schulanfang in Erinnerung. Da haben wir mit der Quereinsteiger/innen-Klasse (Q15)* als Erstes ein gemeinsames Projekt an der Euro Akademie durchgeführt. Einen Monat lang haben wir ein Stück einstudiert und die Musik dazu gemacht und das Stück in den Borsigwerken in Tegel aufgeführt. Thema war, wie man den Regenwald Kindern näherbringen kann. Wir hatten dafür viel gebastelt, viel gesungen, uns viel bewegt und haben dabei versucht, als Gruppe gut aufzutreten. Davon war ich total begeistert. Dadurch, dass wir alle schon über 30 Jahre alt waren, entstand schnell ein gutes Feeling untereinander. Wir waren froh, dass wir uns kennengelernt hatten. Dieser Monat hat uns als Gruppe geformt und gut in die Ausbildung gebracht. Dieses Hochgefühl hielt ein Jahr lang an. Schulisch lief es auch super. Vieles hatte ich aus der Uni schon mitgebracht, etwa Fachrecht, oder durch meine erste Berufsausbildung. Das Berufsspezifische habe ich neu dazugelernt. Der Tiefpunkt meiner Ausbildung war, dass ich persönliche und gesundheitliche Probleme bekam und ein Jahr pausieren musste.
Was ist passiert?
Die Probleme fingen 2016 an. Ich hatte – wie schon gesagt – familiäre und gesundheitliche Probleme. Damit bin ich nicht klar gekommen, das hat mich alles sehr belastet und ich habe mich eine Zeit lang verloren. Es zog sich lange hin, 2017 war mein persönliches Katastrophenjahr. Ich habe unter allem sehr gelitten und das hatte Auswirkungen auf meine Ausbildung. Ich war dann längere Zeit nicht anwesend, war lange Zeit krankgeschrieben. Die Leiterin des ESF-Bundesmodellprogramm an der Euro Akademie hat mich dann zur Seite genommen, hat Druck gemacht und mir gesagt, dass der Beruf zu mir passe und sie wünschte, dass ich meine Ausbildung zu Ende mache. Sie hat mir vorgeschlagen, ein Jahr zu pausieren, um wieder zu mir selbst zu finden. Das habe ich auch gemacht.
Hatten Sie auch über einen Ausbildungsabbruch nachgedacht?
Ja. Im September 2017 wollte ich wieder anfangen mit der Ausbildung. Es war zu der Zeit, als es große organisatorische und personelle Veränderungen an der Euro Akademie gab, und niemand hatte mich mehr auf dem Schirm. Es war nicht so einfach, wieder rein zu kommen. Ich musste mir einen neuen Kita-Platz suchen, zwei Kitas haben mich abgelehnt, da war ich so frustriert, dass ich mich nach anderen Optionen umgesehen habe. Im November bekam ich dann eine E-Mail von der neuen Projektleiterin, die unsere Klasse Q15 damals in Rechtskunde unterrichtete. Sie hatte mir eine sehr schöne E-Mail geschrieben. Da stand als Erstes: In jedem Neuanfang steckt etwas Schönes. Dann hat sie mir geschrieben, dass sie mich positiv in Erinnerung habe und ob ich nicht weitermachen wolle. Das hat mich voll motiviert. Und dann ging plötzlich alles wie von selbst. Ich habe einen Antrag auf Fortsetzung der Ausbildung gestellt, der wurde genehmigt, ich habe eine Stelle in einem Kinderhort gefunden. In der Q16 geht es mir großartig und ich treffe mich auch weiterhin mit den Menschen aus der Q15.
Was war entscheidend, dass Sie die Ausbildung nicht abgebrochen haben?
Letztendlich der Einsatz der beiden Projektleiterinnen, die sich persönlich um mich gekümmert haben. Erst die ehemalige Projektleiterin, die mir geraten hatte, zu pausieren, und dann ihre Nachfolgerin, die mich motiviert hat, zurückzukommen.
Fühlt sich der Weg immer noch richtig an, den Sie gewählt haben?
Ich bereue es nicht, ein Jahr länger zu machen. Die Pause hat mir gut getan. Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken, wie ich mein Leben weiterleben möchte. Ich habe viel geändert, in mein Privatleben ist wieder Ruhe eingekehrt. Auch mit meiner Krankheit habe ich mich arrangiert. Ich habe mein Leben wieder im Griff und bin sehr dankbar, dass ich die Ausbildung zu Ende machen darf. Ich habe durch diese Arbeit ein anderes Gefühl als Mensch, ich fühle mich wertvoll, weil ich Kinder dabei begleiten kann, erwachsen zu werden.
Zum Anfang Ihrer Ausbildung baten wir Sie, Ihr Gefühl mit einem Wort zu beschreiben. Sie wählten „Hurra“. Was würden Sie heute sagen?
Das kann ich nicht in ein Wort fassen. Ich will es mal so sagen: „Die Wertschätzung meiner Person erzeugt ein Gefühl von Dankbarkeit“.
* Im Rahmen des ESF-Bundesmodellprogramms „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in den Jahren 2015 bis 2020 bundesweit Projekte aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF), die für die besondere Zielgruppe der Berufswechslerinnen und Berufswechsler erwachsenengerechte und geschlechtersensible Ausbildungsmöglichkeiten zur/zum staatlich anerkannten Erzieherin/Erzieher schaffen oder weiterentwickeln. Im Programm werden die Fachschülerinnen und Fachschüler parallel zu ihrer Ausbildung in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis in einer Kita beschäftigt und erhalten eine angemessene Vergütung.