20.12.2018

„Wichtig ist, eine individuelle Vielfalt abzubilden, sodass Eigenschaften nicht am Geschlecht festgemacht werden können“.

Ulla Steuber ist Fachschulkoordination im ESF-Projekt „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ bei der Pro Inklusio Fachschule für Sozialpädagogik in Berlin, wo aktuell 18 Klassen die Ausbildung als Erzieher*in berufsbegleitend absolvieren. Drei Klassen werden hier im Rahmen des ESF-Bundesmodellprogramms begleitet.

Foto: privat.

Ich möchte mit Ihnen über Vielfalt in Kitas reden. Was zeichnet Vielfalt in Kitas aus?

Vielfalt in Kitas zeigt sich in der Zusammensetzung der Kindergruppe(n) selbst. Die Kinder bringen eine Vielfalt an Identitätsmerkmalen und Familienkulturen mit, die es in der Einrichtung sichtbar zu machen gilt. Die pädagogischen Fachkräfte haben hier die Aufgabe, Raumgestaltung, Materialauswahl sowie die pädagogischen Angebote im Hinblick auf die Zusammensetzung der Kindergruppe dahingehend zu überprüfen, dass sich alle Kinder in der Einrichtung wiederfinden und wohlfühlen können.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang ein heterogenes Team?

Ein heterogenes Team kann an dieser Stelle für die Kinder von großer Bedeutung sein, indem einzelne pädagogische Fachkräfte Brücken bauen. Beispielsweise kann es für ein Kind, dessen Familiensprache nicht Deutsch ist, ein großer Gewinn sein, wenn es von einer pädagogischen Fachkraft begleitet wird, die seine Familiensprache spricht. Dies gilt selbstverständlich gleichermaßen für alle weiteren Identitätsmerkmale wie Hautton, Herkunft, religiöse Zugehörigkeit etc.
Im Hinblick auf Geschlechterrollen ist es wertvoll, wenn Kinder z.B. auch Männer erleben, die fürsorglichen Tätigkeiten nachgehen.

Wie bereiten die Fachschulen ihre Schüler*innen auf das Thema Heterogenität im Team, aber auch in der Kindergruppe vor? Passiert das in ausreichendem Maße?

An unserer Fachschule setzen wir uns intensiv mit der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung als inklusives Praxiskonzept auseinander.
Aktuell befassen wir uns z.B. damit, die Lernsituationen auf Einseitigkeiten zu überprüfen. Schwerpunktmäßig findet sich die vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung im Lernfeld 3 (Lebenswelten und Diversität wahrnehmen, verstehen und Inklusion fördern) wieder. Derzeit überarbeiten wir das Curriculum darauf hin, dass die vier Ziele der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung schrittweise bearbeitet werden. Wir hoffen, dass die Studierenden auf diese Weise zu einem tieferen Verständnis gelangen können.

Das Thema Team und damit auch heterogene Teams ist insbesondere im Lernfeld 6 (Institution, Team und Qualität entwickeln sowie in Netzwerken kooperieren) verortet. Hier werden im 2. Semester verschiedene berufliche Sozialisationen im sozialen Arbeitsfeld behandelt, die einen Einfluss auf Teams haben können. Dabei lernen die Studierenden Unterschiede wahrzunehmen, anzuerkennen und zu verstehen, wie unterschiedliche Perspektiven die Arbeit unterstützen können.
Da die Ausbildung eine Breitbandausbildung darstellt, ist der Rahmenlehrplan sehr dicht. Das Thema Heterogenität im Team ist ein zentrales und könnte sicherlich mehr Zeit verdienen – wie viele andere Themen selbstverständlich auch.

Je mehr Vielfalt, umso mehr Klischees? Welche Klischees kann es geben in Bezug auf Junge/Mädchen/Herkunft etc.?

Klischees entstehen beispielsweise, wo Kultur als Nationalkultur verstanden wird und davon ausgegangen wird, dass Familien qua Herkunft bestimmte Rituale pflegen. Gehen wir hingegen von Familienkulturen aus, schreiben wir nicht fest, sondern nehmen eine fragende Haltung ein. Jede Familie sollte für sich selbst sprechen können.

Klischees im Hinblick auf Jungen und Mädchen finden wir beispielsweise en masse in Kinderbüchern und auch anderen Medien wieder. Dort werden Mädchen meist eher passiv, isoliert, reich geschmückt im ruhigen Spiel abgebildet. Jungen hingegen erscheinen voller Tatendrang, kameradschaftlich und abenteuerlustig. Die Mehrzahl der Bücher reproduzieren diese Geschlechterstereotype oder verkehren sie schlicht ins Gegenteil: Rauflustige Mädchen und ängstliche Jungen. Wichtig ist doch hier eine individuelle Vielfalt abzubilden– so zum Beispiel rauflustige und ängstliche Mädchen und Jungen – sodass Eigenschaften nicht am Geschlecht festgemacht werden können.

Wie kann man einen Kita-Alltag klischeefrei gestalten?

Durch eine vorurteilsbewusste Haltung sollten wir uns für die Kinder und ihre Familienkulturen öffnen. Es gilt hier, immer zu fragen und so wenig wie möglich als gegeben anzunehmen. Bücher und Spielmaterialien sollten immer kritisch auf Einseitigkeiten überprüft werden – selbstverständlich nach Möglichkeit mit den Kindern gemeinsam.
Im Team braucht es hier Zeit und Raum für Reflexion. Auch sollte regelmäßig z.B. darüber in den Austausch gegangen werden, wer welche Tätigkeiten im Kita-Alltag übernimmt, um eingefahrene Rollenmuster über Bord zu werfen.

Procedo ist Bündnispartner des bundesweiten Aktionstages „Klischeefreie Vielfalt in Kitas“. Warum ist Ihnen die Teilnahme wichtig?

Wir finden es grundsätzlich wichtig, dass Diversität in der frühkindlichen Bildung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erfährt. Eine vorurteilsbewusste Pädagogik ist meines Erachtens eine Pädagogik von hoher Qualität und gerade im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs von zentraler Bedeutung.
Den Anspruch Bildungsgerechtigkeit umzusetzen, erfordert viele Kompetenzen und stellt ein Arbeiten auf fachlich hohem Niveau dar. Dieser Arbeit gebührt Anerkennung.

Was haben Sie geplant?

Ehrlich gesagt, stecken unsere Planungen noch in den Kinderschuhen. Mit zwei Kolleginnen bin ich hierzu im Austausch. Im kommenden Semester können wir dazu mit den Klassen ins Gespräch gehen – die konkrete Planung erfolgt natürlich gemeinsam mit den beteiligten Studierenden. Mit anderen Worten: Lassen Sie sich überraschen!