19.06.2019

Wer Vielfalt als Zumutung empfindet, hat vielleicht Ängste

„Vielfalt ist keine Zumutung“, sagt Christine Thomaschewski-Borrmann. „Wenn man die Eltern langsam an das Thema heranführt“, ergänzt Cihan Revend, beide von der ev. Kita St. Johannis in Berlin-Moabit.

Foto: Koordinationsstelle "Chance Quereinstieg/Männer in Kitas"

Kita-Leiterin Christine Thomaschewski-Borrmann und Erzieherin Cihan Revend von der interkulturellen evangelischen Kita St. Johannis der Gemeinde Tiergarten in Berlin sind Protagonistinnen in einem der Filmspots „Klischeefreie Vielfalt in Kitas – Fang doch klein an“ und Besucherinnen des Aktionstages in der Euro Akademie in Berlin.

Sie haben am heutigen Aktionstag ebenfalls eine Veranstaltung organisiert. Erzählen Sie doch mal …

Thomaschewski-Borrmann: Ja, deswegen müssen wir auch gleich wieder gehen. Wir veranstalten eine Tanzaktion mit Tänzen aus aller Welt in unserem Gemeindesaal für die Öffentlichkeit. Wir haben dafür in der Umgebung auch etwas Werbung gemacht – in unserer Gemeindezeitung und in den Schaukästen. Wir laden alle dazu ein, sich die Tänze anzugucken, aber auch mitzumachen.

Unsere Wackelzähne, die Vorschulkinder, werden mit unserer Küsterin, die das leitet, und mit Cihan Revend zusammen vortanzen. Die Familien, die hoffentlich zahlreich kommen werden, sowie die Außenstehenden sind dazu eingeladen, mitzumachen. Es werden schottische und türkische Tänze aufgeführt, polnische Polka und auch Tänze aus dem arabischen Raum.

Schön …

Ja. Dieses Projekt führen wir eigentlich jedes Jahr durch und machen im Tempodrom bei der Veranstaltung „So bunt ist Berlin“ für kulturelle Mehrstimmigkeit mit.

Meinen Sie, dass man Vielfalt durch Kunst und Kultur transportieren kann?

Ja, das glaube ich schon. Vor allen Dingen ist Vielfalt so natürlich für jeden sichtbar, selbst wenn er oder sie die Sprache nicht spricht. Man braucht nicht viel zu erklären. Auch Bilderausstellungen sind ohne Worte verständlich. Mit dem Tanzen transportieren wir zudem verschiedene Musiken und auch Bewegungen. Das Mitmachen ist dabei ganz wichtig. Es ist – und das sage ich mal in Anführungsstrichen – ein niedrigschwelligeres Angebot als zum Beispiel, ein Referat zu halten.

Finden Sie, dass Vielfalt eine Zumutung sein kann? Es gab ja in den vergangenen Monaten viele sehr kontroverse Diskussionen in der Elternschaft und in den Medien zum Beispiel über geschlechtliche Vielfalt oder kultursensible Faschingskostüme. Viele empfinden es als Zumutung über geschlechtliche Vielfalt zu reden oder sich über kultursensiblen Umgang mit Kostümen auseinander zu setzen.

Das kann man für sich vielleicht so sehen, ich sehe es aber genau anders. Denn ich empfinde Vielfalt als Bereicherung. Ich glaube, dass hinter Vorurteilen vielleicht auch Ängste stecken. Ich glaube, dass gerade im interkulturellen Kontext Ängste vorhanden sind. Einige haben Angst, dass die Kultur, die sie vermeintlich für sich gepachtet haben, verloren geht oder sich vermischt. Aber das sind eher Ängste von denjenigen, die vielleicht sehr konservativ denken. Ich persönlich empfinde Vielfalt als Bereicherung. Ich finde es doch toll, wenn es ganz bunt ist. Menschen sollten doch leben, so wie sie es möchten, wie sie sich wohl fühlen – in welcher Konstellation auch immer.

Cihan Revend: Wichtig ist jedoch, die Eltern da abzuholen, wo sie sind. Es gibt Themen, bei denen blockieren die Eltern sofort. Je nachdem woher und aus welcher Kultur sie kommen. Wir haben zum Beispiel in unserer Kita sehr viele Eltern, die geflüchtet sind. Man muss sie Schritt für Schritt mitnehmen und an die Themen heranführen. Wenn wir zu schnell sind, mauern sie. Und wenn erst einmal diese Mauer zwischen Eltern und Erzieherin steht, ist es sehr, sehr schwierig, sie zu durchbrechen, um mit den Eltern zu kommunizieren. Das Vertrauen zu den Eltern muss man langsam aufbauen – und dann kann man sie auch langsam an die diversen Aspekte von Vielfalt heranführen.