18.09.2017

SPD

Interview mit Sönke Rix, Sprecher der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag.

Foto: privat.

Welche Ziele verfolgen Sie hinsichtlich der Deckung des enormen Fachkräftebedarfs in den Tageseinrichtungen für Kinder, und welche konkreten Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und -bindung würden Sie in Regierungsverantwortung nach der Bundestagswahl einleiten?

Unser Ziel sind gut ausgestattete Kitas. Dazu zählen geeignete Räume, technische Ausstattungen und vielfältige Spielmöglichkeiten. Dazu zählt aber vor allem auch eine angemessene personelle Ausstattung. Wir wollen gute Fachkraft-Kind-Schlüssel realisieren, Zeiten für Vor- und Nachbereitung der pädagogischen Arbeit vorsehen, Kitaleitungen stärken und Zeiten für die Organisation einer Erziehungspartnerschaft mit den Eltern einplanen. Weil wir wissen, dass dies alles nicht zum Nulltarif zu haben ist, setzen wir uns dafür ein, dass sich der Bund deutlich und dauerhaft finanziell daran beteiligt.

Es war uns immer klar, dass der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen der letzten Jahre auch zu einer erheblichen Steigerung der Zahl der Beschäftigten führen wird. Wir freuen uns deshalb über das entsprechende Beschäftigungsplus in allen Bundesländern. Und wir sehen Potenzial für mehr. Aktuell gibt es immer noch einen sehr hohen Anteil von Teilzeitarbeitsstellen. Diesen Beschäftigten können längere Beschäftigungszeiten angeboten werden. Die Arbeitslosenquote von Kinderpfleger*innen ist im Vergleich zu Erzieher*innen höher. Deshalb können gezielte Weiterbildungsangebote helfen, aus diesem Personenkreis zukünftig neue Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Bundesagentur für Arbeit auch in Zukunft mit der Förderung beruflicher Weiterbildungen zur Sicherstellung des Fachkräfteangebots beiträgt. Sie soll auch weiterhin Personen unterstützen, die sich auf das Nachholen der Abschlussprüfung zum/zur Erzieher*in vorbereiten. Auch potenzielle Quereinsteiger*innen sollen gezielt angeworben werden. Wir werden in den Bundesländern dafür werben, dass spezielle Ausbildungsgänge für Quereinsteiger*innen eingeführt werden. Außerdem wollen wir die Arbeitsbedingungen so gestalten, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so lange wie möglich in den Beschäftigungsverhältnissen bleiben können. Zudem setzen wir auf konsequente Nachwuchsgewinnung. Wir wollen die Ausbildung noch attraktiver gestalten und so jährlich weiter steigende Absolvent*innenzahlen erreichen.

Die Attraktivität der erziehenden Berufe soll insgesamt weiter gesteigert werden. Dazu werden wir dafür sorgen, dass Menschen, die in Erziehungsberufen arbeiten, Anerkennung bekommen. Sie müssen ständig wachsende Herausforderungen meistern: zum Beispiel die Zuwanderung von vielen Familien nach Deutschland oder den Megatrend des digitalen Wandels. Aufgrund dieser vielfältigen Herausforderungen werden die erziehenden Berufe weiter an Bedeutung gewinnen. Dieser Bedeutungszuwachs muss sich auch im Einkommen widerspiegeln. Wir setzen außerdem auf zusätzliche interessante Aufstiegsperspektiven.

Um der Zersplitterung der arbeitsrechtlichen Vereinbarungen und der Tarifabschlüsse zu begegnen, werben wir für einen allgemeinverbindlichen Branchentarifvertrag. Das alles bedarf einer gemeinsamen Anstrengung der Träger, Dienste und Einrichtungen aber auch des Bundes, der Länder und der Kommunen.

Das Eckpunktepapier der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) vom 18./19. Mai 2017 ist ein erster Schritt,zur Steigerung der Qualität in Kitas und Kindertagespflege. Es trägt auch dazu bei, für die erziehende Berufe zu werben. Daran wollen wir anschließen und gezielt für den Erzieher*innenberuf werben. Wichtige Argumente sind dabei „hochinteressante Arbeit mit Menschen“ und „hohe Beschäftigungssicherheit“.

Welche Bedeutung messen Sie den bisher unterrepräsentierten Personengruppen (u.a. Männer, Menschen mit sog. Migrationshintergrund) im Arbeitsfeld Kindertageseinrichtungen bei, und welche Möglichkeiten der Gewinnung sehen Sie gegenwärtig und in der Zukunft?

Männliche Fachkräfte und solche mit Migrationsgeschichte haben eine herausragende Bedeutung für die Gestaltung der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung. Der frühkindliche Bildungserfolg hängt davon ab, in welchem Maße es den Fachkräften gelingt, zu den einzelnen Kindern in Beziehung zu gehen. Zur großen Vielfalt der Kinder in Kindertageseinrichtungen sollte es deshalb auch eine große Vielfalt an Fachkräften geben.

Erzieher*innen mit Migrationsgeschichte bringen oft neue Perspektiven und besondere Zugänge zu Sprachen ein. Das bereichert den Kita-Alltag. Deshalb suchen wir Kontakt zu Migrantenverbänden, um mit ihnen gemeinsam Strategien für mehr Personen mit Migrationshintergrund im Erzieherberuf zu entwickeln.

Männer sind wichtig – auch in unseren Kitas. Sie machen die Erfahrung, dass die intensive Arbeit mit Kindern sehr viel Freude macht und dass es neben den „klassischen Männerberufen“ auch noch andere Berufswahlmöglichkeiten gibt. Außerdem sind sie Vorbild für engagierte Väter, die mehr von den Kindern und mehr vom Leben haben wollen. Manchmal ist es für Väter von Vorteil, im Kitateam auch einen männlichen Ansprechpartner zu haben. Für Männer, die sich im Feld der frühkindlichen Bildung beteiligen, eröffnen sich neue Lebensperspektiven. Sie gewinnen oft Vielfalt und Lebendigkeit.

Auch für die Kinder ist es vorteilhaft, weibliche und männliche Vorbilder zu haben. Sowohl Jungen als auch Mädchen brauchen das Erleben von Männern, die einerseits spielen und toben und andererseits trösten, schlichten, den Tisch decken und vorlesen.

Schließlich tragen mehr Männer in Kitas dazu bei, den sich abzeichnenden Fachkräftemangel abzufedern.

Gemischte Teams, die auch bisher unterrepräsentierte Personengruppen einbinden, sorgen für mehr Qualität in Kitas. Deshalb wollen wir die bisher unterrepräsentierten Gruppen besser erreichen.
Dafür setzen wir vor allem auf Kooperation mit den wichtigsten professionellen Akteuren im Bereich der frühkindlichen Betreuung, Erziehung und Bildung. Bund. Länder, Kommunen, Träger und sonstige Beteiligte sollen auch in Zukunft Handlungsstrategien zur Steigerung des Anteils bisher unterrepräsentierter Personengruppen entwickeln und umsetzen.

Zudem werden wir die Öffentlichkeitsarbeit intensivieren, mit der wir auch auf die tagtäglichen Höchstleistungen von Erzieherinnen und Erziehern aufmerksam machen und diese anerkennen. Auch auf Ausbildungsmessen und Fachtagungen soll in Zukunft für Erzieherausbildungen geworben werden. Mit Maßnahmen, wie dem „Boys Day“ können wir bei Jungen gezielt Interesse für pädagogische Berufe wecken.

Wir wissen, dass es einige Männer und Frauen gibt, die mitten im Berufsleben stehen und in den Beruf der Erzieherin beziehungsweise des Erziehers wechseln möchten. Für sie wollen wir die entsprechenden Brücken hin zu ihrem persönlichen Berufswunsch bauen.

An erfolgreiche Maßnahmen wie zum Beispiel „Koordinationsstelle als zentraler Ansprechpartner für die Themen rund um >Männer und Gender in Kitas<“, „Internetseite www.zukunftsberuf-erzieher.de“, „Tandem-Studie – zum professionellen Verhalten von Erzieherinnen und Erziehern“, wollen wir anknüpfen. Außerdem setzen wir auch in Zukunft auf Projekte und Maßnahmen, wie Schülerpraktika, Schnuppertage, Freiwilligendienste und Programme für Mentorinnen und Mentoren sowie Runde Tische und Netzwerke männlicher Erzieher.

Wie stehen Sie zu vergüteten Modellen in der Ausbildung von Erzieher/innen? Welche Perspektiven und Wege der Unterstützung von vergüteten Ausbildungsmodellen sehen Sie auf Bundesebene, besonders auch im Kontext des Bildungsföderalismus?

Ich setze mich dafür ein, dass aus der aktuell überwiegend schulischen Ausbildung eine praxisintegrierte Ausbildung wird. Die Ausbildung muss im gesamten Bundesgebiet selbstverständlich gebührenfrei sein und eine angemessene Ausbildungsvergütung beinhalten. Nur so ist die Ausbildung auch für Quereinsteiger*innen attraktiv, die zuvor bereits viele Jahre berufstätig waren.

Wir haben erreicht, dass der Bund in finanzschwachen Kommunen direkt in Bildungseinrichtungen wie Kitas, Schulen, Horte und Berufsschulen investieren kann. Darüber hinaus wollen wir eine vollständige Aufhebung des Kooperationsverbotes. Überall da, wo es sinnvoll ist, muss der Bund helfen können, Bildung besser zu machen. Wir werden uns außerdem für eine gemeinsame Nationale Bildungsallianz von Bund, Ländern und Kommunen einsetzen. Dafür wollen wir in der kommenden Wahlperiode rund 12 Mrd. Euro Bundesmittel bereitstellen und damit zusätzliche Mittel bei den Ländern und Kommunen heben.

Ich persönlich setze darauf, dass die für die Ausbildung der Erzieher*innen zuständigen Länder für eine Weiterentwicklung der Ausbildung offener sein werden, wenn sich der Bund im Bereich Bildung zukünftig intensiver beteiligt.