„Unser Anliegen ist eine qualitativ hochwertige Betreuung in der Praxis“
Im Jahr 2012 hat Baden-Württemberg die bisherige Erzieherinnen- und Erzieherausbildung durch die praxisintegrierte Ausbildung (PIA) erweitert, die als Schulversuch konzipiert ist. Eine Besonderheit der praxisintegrierten Ausbildung ist die Ausbildungsvergütung, die der Träger an den Auszubildenden/die Auszubildende zu richten hat und die sich an die Ausbildungsvergütung von Verwaltungsfachangestellten des öffentlichen Dienstes (TVAöD) orientieren soll. Verschiedene Standorte in Baden-Württemberg bieten diese Form der Ausbildung an.
Constanze Ott, SDtin (Studiendirektorin), ist seit August 2011 Schulleiterin der Fachschule für Sozialpädagogik Freiburg in Trägerschaft der Erzdiözese Freiburg. Constanze Ott und ihr Team sind seit Beginn der praxisintegrierten Ausbildung (PIA) in Baden-Württemberg mit dabei und haben in verschiedenen Arbeitsgruppen auch auf Landesebene dazu gearbeitet. Mittlerweile ist dieser Ausbildungsgang an der Schule etabliert und in bester Koexistenz mit der Vollzeitausbildung verankert. Als Mitglied des Vorstandes der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen/Erzieher (BAKGAE) arbeitet Constanze Ott speziell zu diesem Thema und Fragen der religionspädagogischen Aus-/Fort- und Weiterbildung. Wir haben Sie in einem schriftlich geführten Interview zu ihren Erfahrungen mit der PIA befragt.
Baden Württemberg hat vor wenigen Jahren als erstes deutsches Bundesland auf den Erzieher/innenmangel reagiert und mit der praxisintegrierten Ausbildung (PIA) eine vergütete Ausbildungsmöglichkeit für angehende Erzieher/innen geschaffen.
Welche Erfahrungen haben Sie an Ihrer Schule mit der PIA gemacht?
An unserer Schule haben wir von Beginn an durchweg positive Erfahrungen mit der Ausbildung machen dürfen, also mit den Schülerinnen und Schülern, den Einrichtungen und den Trägern. Wir haben nun bereits den dritten Jahrgang verabschieden können und sehen uns in der optimistischen Herangehensweise vollends bestärkt.
Heterogenität als Erfolgsfaktor
Der Gelingensfaktor schlechthin ist das Zusammenspiel der Fachschule mit den Einrichtungen und den Trägervertretern. Diese Kooperation ist uns in allen Bereichen ein Anliegen. Durch die Bezahlung in der PIA ist sie zudem mit einem anderen Augenmerk versehen. Es gilt, seitens der Schule den Austausch, die Kommunikation und gegenseitige Bereicherung zu moderieren und für alle Beteiligten fruchtbar werden zu lassen. Die Heterogenität der Lerngruppe in der Klasse spiegelt die der Ausbildungseinrichtungen wider, worin unserer Einschätzung nach der Gewinn liegt, der diesen Ausbildungsgang erfolgreich macht.
Verzahnung der Lernorte
Insbesondere die Möglichkeit, praktische Erfahrungen und Unterrichtsinhalte unmittelbar zu verzahnen, befähigt die Schülerinnen und Schüler dieses Ausbildungsganges, beides zu verbinden. Uns ist dabei eine qualitativ hochwertige Betreuung in der Praxis ein Anliegen. Das schafft Räume zur Reflexion, die unabdingbar sind. Da sehe ich die großen Stärken einer Fachschule. Hier gilt es, sich eine große Offenheit zu bewahren, immer alle Player im Blick zu haben, bzw. zu bedenken, was deren Perspektive ist.
Unterstützung des Schulträgers
Ein weiterer Grund für den Erfolg an unserer Schule ist konkret, dass der Schulträger – die Erzdiözese Freiburg – diesen Ausbildungsgang von Anfang an sehr stark unterstützt hat. Diese Unterstützung braucht es sowohl auf der politischen Ebene als auch etwa in der Ausstattung der Schule, aber auch in der Möglichkeit der Anleiter/innenfortbildung. So haben die Fachschulen in der Trägerschaft der Erzdiözese Freiburg ein Curriculum für die Fortbildung der Praxisanleiter/innen weiterentwickelt. Ein schon bestehendes erfolgreiches Weiterbildungsformat wurde dazu mit den neuen Erfahrungen der PIA-Ausbildung bereichert. Somit wird die schulische Ausbildung mit der Praxis hervorragend verzahnt und eine qualitativ hochwertige Betreuung in den Einrichtungen unterstützt, in denen Theorie und Praxis auch Hand in Hand gehen. Der Umstand, dass ich in der Arbeitsgruppe zur Entwicklung dieser Handreichung zur Theorie-Praxis-Verzahnung gewesen bin, hat anfangs die Umsetzung erleichtert.
Weitere Informationen:
http://daten.verwaltungsportal.de/dateien/news/2/3/8/2/9/7/hr_verzahnung_erzieher_finale_fassung.pdf
Wir können feststellen, dass die Vollzeitausbildung sowie die PIA-Ausbildung sich in bester Koexistenz ergänzen und sich zu einem weiteren schulischen Profilpunkt entwickelt haben.
Praxisstellen ins Boot holen und engmaschig kommunizieren
Stolpersteine haben wir größtenteils auf die Seite rollen können. Ich erinnere mich vor allem daran, wie zu Anfang die Bezahlung kritisch gesehen wurde, weil das in diesem Feld neu gewesen ist. Andererseits sind dadurch die Träger der Praxisstellen, die die Ausbildung größtenteils finanzieren, sozusagen noch mehr mit ins Boot gekommen, samt den eigenen Vorstellungen. Uns allen miteinander, also der Schule, den Stellen und Trägern, hat diese neue Zusammensetzung gut getan, um nochmals mit anderen Augen auf die Ausbildung zu blicken. Ich persönlich bin sehr froh um meine zuvor gemachten beruflichen Erfahrungen im dualen Ausbildungsbereich gewesen.
Sie sehen, dass auch hier für ein Gelingen wie auch Überwinden der Stolpersteine eine aufrichtige Kommunikation, die engmaschig verläuft, ein guter Ratgeber ist.
Dank gilt hier allen, die sich mit uns als kompetente Partner im sozialpädagogischen Berufs- und Ausbildungsfeld auf den Weg gemacht haben.
Die PIA hat das Ziel, einen größeren Personenkreis für die Ausbildung zu gewinnen. Welche Erfahrungen haben Sie bisher in der Ausbildung unterrepräsentierter Personengruppen gemacht?
Ein Hauptziel der PIA-Ausbildung ist es nach wie vor, additive Gruppen für den Beruf gewinnen zu können.
Männeranteil
Wir können nach drei Abschlussjahrgängen konstatieren, dass der Anteil der Männer sich mehr als verdoppelt hat. Damit ändert sich auch das Bild einer Schule, an der bis dato ziemlich wenig Männer in der Ausbildung gewesen sind. In unserer 103-jährigen Geschichte gibt es erst seit 13 Jahren Männer. Das führte zu dem Umstand, dass nachträglich Männerduschen eingebaut werden mussten. Ich bin froh, damit ins neue Schuljahr starten zu können.
Berufserfahrene, fachfremde Personen
Eine weitere neue Gruppe sind die Personen, die bereits eine andere Ausbildung oder ein Studium absolviert haben und oftmals bereits länger im Beruf gearbeitet haben. Oft sind es bemerkenswerte Lebensentscheidungen und Berufsbiografien, die zum Entschluss geführt haben, staatlich anerkannte/r Erzieherin/Erzieher zu werden: Sei es der Wunsch nach einem Beruf mit Menschen, in früheren Jahren nicht bestandenen Möglichkeiten der Ausbildung oder das eigene „Elternwerden“.
Personengruppen mit familiären und finanziellen Verpflichtungen
Oftmals sind es die finanziellen Möglichkeiten, mittels dieser Ausbildungsvergütung, welche die Menschen in die Ausbildung bringen. Sehr oft hören wir, dass gerade diejenigen, die bereits familiäre und finanzielle Verpflichtungen haben, auf diesem Wege Erzieherin/Erzieher werden können. Wir haben daher einen signifikant höheren Anteil an Schülerinnen und Schülern, die Ende 20 und älter sind, das sind neue Optionen. Das Altersspektrum liegt in der praxisintegrierten Ausbildung zwischen 18 und 51 Jahren. Da können schon mal die Lehrkräfte, auch die Schulleiterin, jünger sein.
In unserem letzten Newsletter hat sich Norbert Bender, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Elterninitiativen e.V. (BAGE) zur Anrechnung Auszubildender auf den Personalschlüssel geäußert. „Erfolgt für den Träger keine 100-prozentige Anrechnung auf den Personalschlüssel, hat er Schwierigkeiten, die Quereinsteiger/innen entsprechend zu entlohnen“. Gleichzeitig hat er darauf aufmerksam gemacht, dass angehende Erzieher/innen durch die 100-prozentige Anrechnung einer Dreifachbelastung ausgesetzt sind: „Ausbildung in der Fachschule, Arbeitsstelle in der Kita und Familienverpflichtungen. Diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen, ist für die QuereinsteigerInnen anspruchsvoll und setzt eine hohe Motivation voraus. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Anforderungen der Arbeitsstätte Kita, z. B. bei Krankheitsvertretungen, mit den Anforderungen der Ausbildung konkurrieren“.
Wie schätzen Sie die in Freiburg geltende Regelung zur Anrechnung angehender Erzieher/innen auf den Personalschlüssel mit höchstens 25 Prozent ein?
Die beiden evangelischen Landeskirchen und die beiden Diözesen in Baden-Württemberg, zu denen unser Schulträger, die Erzdiözese Freiburg, gehört, ein großer Träger von Tageseinrichtungen für Kinder, haben zu Beginn der PIA-Ausbildung eine Anrechnung von 0 Prozent im ersten Jahr, dann im zweiten und dritten Jahr jeweils von 0,2 Vollzeitäquivalenten empfohlen. Für unsere Schule gesprochen und der nach wie vor großen Nachfrage an Schülerinnen und Schülern sowie der Bereitstellung von Praxisplätzen, sehe ich diese Empfehlung als bestätigt an.
Ideelle und finanzielle Wertschätzung als entscheidender Faktor
Die Frage wie wir an qualitativ gut ausgebildete Fachkräfte kommen und wie wir junge Menschen für diesen Beruf überhaupt erst einmal interessieren und begeistern können, auch in der Vollzeitausbildung, verbindet viele von uns. Ich möchte neben der Anrechnungsthematik nochmals darauf hinweisen, dass wir in der Schule von Schülerinnen und Schülern sowie auch von Ehemaligen hören, dass die Wertschätzung der Arbeit und die Aufwertung des Berufes nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Berufswahl einnimmt; wenngleich diese Wertschätzung ideell wie finanziell gemeint ist.
Sie sind Vorstandsmitglied der BAG Katholischer Ausbildungsstätten. Wie steht die BAG zu vergüteten Ausbildungsmodellen und zum Quereinstieg in den Erzieher/innenberuf?
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen/Erzieher (BAKGAE) hat sich bereits dazu konkret 2013 in dem Eckpunktepapier der Fachverbände für Sozialpädagogik BeA, BAG KAE und BöfAE geäußert. „Praxisintegrierte Ausbildungsmodelle können ein wichtiger und sinnvoller Weg sein, um neue Zielgruppen für das Berufsfeld zu erschließen. Hierbei ist darauf hinzuwirken, dass die Studierenden der Fachschulen und Fachakademien angemessen vergütet werden. Ebenso muss ihr Einsatz angemessen auf den Fachkräfteschlüssel angerechnet werden.“
Weitere Informationen:
http://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/13_04_24_eckpunktepapier_endfassung.pdf
http://www.ebfr.de/html/kindertageseinrichtungen_in_der_erzdioezese_freiburg.html?t=2aspf5c8msd4snc6lighmmupr3&tto=2ff19709 | Kindertageseinrichtungen in der Erzdiözese Freiburg