22.09.2015

Neue Mitarbeiterin in der Koordinationsstelle

Canan Korucu-Rieger im Interview

Foto: Tim Deussen

Seit August arbeitet Canan Korucu-Rieger in der Koordinationsstelle ‚Chance Quereinstieg/Männer in Kitas‘. Nach ihrem Studium der Erziehungswissenschaften und Gender Studies war sie bis vor kurzem an der Universität Bremen tätig.

Was ist Ihr Zugang zu den Themen der Koordinationsstelle 'Chance Quereinstieg/Männer in Kitas'?

Ich war zuvor an der Universität Bremen als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung tätig, an dem die Kooperationsprojekte „Männer in die Grundschule“ und „Rent a teacherman“ verortet sind. Durch diese Kooperationsprojekte bin ich für das Thema ‚männliche Fachkräfte in erzieherisch-pädagogischen Berufen‘ stark sensibilisiert und bin glücklich darüber, mich weiterhin mit diesen Themen beschäftigen und mit den Akteur/innen aus der Praxis austauschen zu dürfen.

Zudem untersuche ich als qualitative Bildungsforscherin das Zusammenwirken der sozialen Kategorien Gender, Class, Ethnizität und Religion im Kontext von gesellschaftlichen Macht- und Dominanzverhältnissen. Bei den Themen der Koordinationsstelle stehen zum jetzigen Kenntnisstand die sozialen Kategorien Gender und Alter im Vordergrund – und das bedeutet für mich eine Erweiterung meines bisherigen Forschungsschwerpunkts. Daher freue ich mich darauf, gemeinsam mit den vielen Akteur/innen in den Kitas und Fachschulen, aber auch mit politischen Interessensvertreter/innen der Frage nachzugehen, wie eine erwachsenengerechte und geschlechtersensible Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher gestaltet und umgesetzt werden kann.

Im länderübergreifenden Lehrplan für die Erzieher/innen-Ausbildung wird die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und sexuellen Orientierungen unter dem Aspekt der Inklusion gefasst. Wieso wird Gender unter dem Begriff Inklusion subsummiert – wie erklären Sie sich das?

Bis vor kurzem wurde Inklusion hauptsächlich als gemeinsamer Unterricht von Schüler/innen mit und ohne Behinderung verstanden. In den letzten Jahren entstand in sozialen Einrichtungen, Kitas und Schulen ebenso wie im erziehungswissenschaftlichen Diskurs die Einigkeit darüber, dass unter dem inklusiven pädagogischen Ansatz die Einbeziehung aller Beteiligten verstanden wird. Das heißt jede Person, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer sozialen Herkunft, ihrer Sprache, ihrer Religion, ihres Gesundheitszustandes, ihres Alters und so weiter, wird wertgeschätzt und in ihrer Vielfalt anerkannt.

Einerseits bietet dieser Ansatz das Mitdenken der verschiedenen sozialen Kategorien, es verhindert den Ausschluss einzelner Personen und Gruppen, andererseits birgt sie die Gefahr des Vergessens oder der Verkennung der außerordentlichen Wirk- und Strukturmächtigkeit der Gender-Kategorie. 

Beispielsweise wird die Berufsorientierung junger Menschen durch die bestehende hierarchische Geschlechterordnung mitbestimmt. So entscheiden sich überwiegend junge Frauen für pflegerische und erzieherische Berufe, deren Abschluss in einer schulischen Ausbildung ohne Vergütung und oft sogar noch mit zusätzlichen Schulgebühren zu erreichen ist. Junge Männer hingegen orientieren sich an technisch-mathematischen Berufen. Diese Berufe sind als duale Ausbildung mit einer monatlichen Ausbildungsvergütung konzipiert.

Mit dem gleichstellungspolitischen Ansatz des ESF-Bundesmodellprogramms reagiert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf die Strukturmächtigkeit der Gender-Kategorie und bietet für beide Geschlechter die Möglichkeit einer vergüteten, erwachsenengerechten und geschlechtersensiblen Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher an.

Welche Dimensionen von Vielfalt sehen Sie beim Quereinstieg?

Die Kategorien Alter, Gender, Gesundheit, Religion und soziale Herkunft, um fünf von 17 zu benennen, die alle auf ihre Art und Weise wirksam sind und Auswirkungen auf Identitäts- sowie Bildungsprozesse haben. Ein lediger Akademiker, der in einer Führungsposition tätig war, keine Kinder hat, offen schwul lebt und einen serbischen Migrationshintergrund hat, wird auf andere Widerstände, Ausschlussmechanismen und Diskriminierungen in der Kita und in seinem Umfeld stoßen als ein Mann aus einer Kleinstadt mit einem Berufsabschluss, der seit kurzem in Berlin lebt, verheiratet ist, zwei Kinder hat und mit einem bayrischen Akzent spricht. Wenn wir uns in diesem Beispiel die Protagonisten als Frauen vorstellen, werden die Reaktionen in der Kita und in deren Umfeld wieder anders ausfallen.
Die Herausforderung bei der Beschäftigung mit solchen Fragestellungen, besteht darin, Differenzen und Verschiedenheiten zu thematisieren, ohne sie erneut zu reproduzieren (z. B. „die Schwulen“, „die Berufswechsler/innen“). 

Vielen Dank für das Interview!