08.10.2018

Männlichkeit im Wandel?

Voraussichtlich im Herbst 2018 erscheint die neue Publikation von Irmgard Diewald: "Männlichkeiten im Wandel. Zur Regierung von Geschlecht in der deutschen und schwedischen Debatte um 'Männer in Kitas'." Im Vorfeld haben wir zu dem Thema ein Interview mit ihr geführt.

Foto: privat.

Frau Diewald hat im Rahmen ihres Dissertationsprojekts eine vergleichende Studie zwischen Deutschland und Schweden zum Thema ‚Männer in Kitas‘ durchgeführt und ihre Analyse in den Kontext wohlfahrtsstaatlicher Regulierung bzw. Regierung gestellt.

Frau Diewald, warum war für Sie der Vergleich zwischen Deutschland und Schweden von Interesse?

In gängigen Wohlfahrtsstaatstheorien werden Deutschland und Schweden unterschiedlichen Typen zugeordnet. Deutschland wird dem konservativen Typus zugeordnet und zeichnet sich durch ein 1,5-Verdiener-Modell aus. Demgegenüber steht Schweden als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat mit einem Zweiverdienermodell. Aus gleichstellungspolitischer Sicht wird in dieser Gegenüberstellung oft die Vorbildrolle Schwedens hervorgehoben. Außer Acht gelassen wird dabei, dass sich auch in Schweden eine massive geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegregation findet. Mit einer Frauenquote von etwa 95 % ist die frühkindliche Bildung in beiden Ländern eines der am stärksten geschlechtsspezifisch segregierten weiblich dominierten Berufsfelder innerhalb des Beschäftigungssystems. Interessant war für mich zudem, dass in Schweden schon in den 1970er Jahren eine Kampagne zur Erhöhung der Anzahl männlicher Erzieher durchgeführt wurde. Unter anderem ermöglichte eine Quotenregelung auch Männern, die nicht ausreichend qualifiziert waren, den Einstieg in das Berufsfeld. In der Folge ließ sich ein deutlicher Anstieg des Anteils männlicher Erzieher auf ca. 10% erkennen. In den 1980er Jahren erfolgte aufgrund sich wandelnder Männlichkeits- und Geschlechtervorstellungen ein Rückgang auf knapp 1%. Darüber hinaus gibt es aktuell in beiden Ländern Bestrebungen die Anzahl männlicher Erzieher zu erhöhen, die politische und gesellschaftliche Reichweite der Kampagnen sind jedoch sehr unterschiedlich.

Was genau heißt „nicht ausreichend qualifiziert“?

Um die Anzahl männlicher Vorschullehrer zu erhöhen, war es im Rahmen einer aktiven Fördermaßnahme möglich, Männern einen extra Leistungspunkt zu ihren Noten zu geben, wenn diese sich für die Ausbildung zum Vorschullehrer bewarben. Diese Maßnahme führte zu einer Form der positiven Diskriminierung und wurde Ende der 1970er Jahre wieder abgeschafft. Ebenso wurde problematisiert, dass die Rekrutierung von Männern zu einer Reproduktion tradierter Geschlechterverhältnisse innerhalb der Vorschule führte. So haben zum Beispiel viele Männer Leitungsaufgaben übernommen und sich weniger um die Betreuung der Kinder gekümmert. Dies stand jedoch dem Ziel entgegen, neue ‚Rollenvorbilder‘ für die Kinder zu etablieren.

Inwiefern haben sich die „Männlichkeits- und Geschlechtervorstellungen“ in Schweden gewandelt und warum hat dieser Wandel zu einem Einbruch des Männeranteils von 10% auf knapp 1% geführt?

Neben dem Auslaufen der politischen Fördermaßnahmen lässt sich der Rückgang der Männerquote in Vorschulen mit einer Retraditionalisierung von Geschlechtervorstellungen erklären. In den 1970er Jahren wurden in Schweden unter sozialdemokratischer Führung verschiedene geschlechterpolitische Maßnahmen verabschiedet. Geprägt wurde in dieser Zeit die Begrifflichkeit ‚jämställdhet‘ (Gleichstellung) als gesellschaftspolitisches Leitmotiv. Es wurde zum erklärten gesellschaftsübergreifenden Ziel, geschlechtsspezifische Ungleichheiten abzubauen sowie vergeschlechtlichte Machtstrukturen aufzulösen.

Im Fokus dieser geschlechterpolitischen Ausrichtung stand insbesondere die verstärkte Rekrutierung von Frauen in den Arbeitsmarkt. Um dies bewerkstelligen zu können, erfolgte unter anderem ein massiver Ausbau der Kinderbetreuung. Auf geschlechterpolitischer Ebene wurden jedoch nicht nur vergeschlechtlichte Rollenerwartungen an Frauen in Frage gestellt, sondern ebenso Männlichkeitskonstruktionen, in der Verknüpfung von Männern und Care-Arbeit, einer Neuaushandlung unterzogen. Mit dem Eintritt in das Berufsfeld der Vorschule erfolgte eine Einschreibung der gesellschaftspolitischen Aufgabe der Gleichstellung in die vergeschlechtlichte Subjektkonstruktion der Männer, die sich für dieses Berufsfeld entschieden haben. Diese wurden zu Helden einer sozialen ‚Geschlechterrevolution‘. In den 1980er Jahren erfolgte dann eine Retraditionalisierung von Männlichkeitsvorstellungen. Männer in der Vorschule wurden nicht mehr als Helden gefeiert, sondern vielmehr wurden in Abgrenzung zu einer verweichlichten, fürsorgenden Männlichkeit ‚echte‘ Männer gefordert. Diese sollten einen Kontrapunkt zur feminisierten Vorschulwelt setzen.

Inwiefern sind die politische und gesellschaftliche Reichweite der aktuellen Kampagnen unterschiedlich?

Bis heute ist die schwedische Debatte zu Männern in der Vorschule geprägt von den Auseinandersetzungen in den 1970er und 1980er Jahren. So sind zwei zentrale Argumente gegen eine verstärkte Rekrutierung von Männern, dass dies bereits versucht wurde und nicht erfolgreich war, sowie der Verweis auf die Gefahr der Reproduktion tradierter Geschlechterstereotype, welche eine geschlechtsspezifische Hierarchisierung implizieren. Erst mit dem Amtsantritt der Gleichstellungsministerin Maria Arnholm (2013-2014) wurde die Thematik auf politischer Ebene in Schweden wieder forciert. Im Gegensatz dazu wird in Deutschland seit einigen Jahren eine intensive politische und gesellschaftliche Debatte zu Männern in Kitas geführt. In beiden Ländern lassen sich unterschiedliche Ausgangspunkte erkennen. Während sich die Kampagne in Deutschland zu Beginn deutlich in gleichstellungspolitischen Auseinandersetzungen verortet hat, findet sich in Schweden vor allem der Verweis auf einen drohenden Fachkräftemangel und damit arbeitsmarktpolitische Argumentationsmuster als Legitimationsstrategie der Kampagne. Gleichzeitig wird die Rekrutierung von Männern aus Gleichstellungssicht kritisch diskutiert, da es dem Ziel tradierte Geschlechtermuster aufzubrechen entgegensteht. Dementgegen steht die zumeist identitätspolitische Ausrichtung deutscher Gleichstellungspolitik. Damit wird die Forderung nach (mehr) Männern qua biologischen Geschlechts in Deutschland auf politischer Ebene zu etwas Sagbaren und gesellschaftlich erwünschten, während die Forderung in Schweden aufgrund divergierender Geschlechtervorstellungen nur bedingt sagbar ist. Trotz der Unterschiede in der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung weisen die Debatten in beiden Ländern deutliche Parallelen auf. Festhalten lässt sich für beide eine Verschränkung divergierender, teilweise widersprüchlicher Zielsetzungen. Neben der Frage nach vergeschlechtlichten Personalstrukturen rückt der elementarpädagogische Bereich als gleichstellungspolitische Arena in den Fokus. So ist die Kampagne in Deutschland zum Beispiel eng verbunden mit der Zielsetzung genderpädagogische Elemente im Kitabereich zu etablieren.

Frau Diewald, Sie schreiben in Ihrer Einleitung, dass die „Frage nach der Rolle von Geschlechterwissen, welches der Auseinandersetzung zu ‚Männern‘ im elementarpädagogischen Bereich immanent ist“, zentral für ihre Arbeit sei. Was genau, verbirgt sich dahinter und zu welchem Ergebnis sind sie gekommen?

Der Debatte um ‚Männer in Kitas/män i förskolan‘ ist ein Geschlechterdiskurs immanent, welcher einerseits durch divergierende Formen von vergeschlechtlichtem Wissen strukturiert ist und andererseits spezifisches Wissen von Geschlecht hervorbringt. Durch diese Aushandlung und Bereitstellung von Geschlechterwissen wird ein Möglichkeitsfeld abgesteckt, in dem sich vergeschlechtlichte Subjekte, in diesem Fall die männlichen Erzieher, bewegen und handlungsfähig werden können.

Diskursanalytisch rekonstruiert wurde Geschlechterwissen, welches sich zwischen naturalisierenden/biologistischen und (de-)konstruktivistischen Vorstellungen bewegt. Naturalisiertem Wissen ist die Betonung des Fehlens männlicher Eigenschaften in einem feminisierten elementarpädagogischen Bereich immanent. Durch das Eintreten von Männern wird diese Leerstelle qua biologischen Geschlechts gefüllt. In Abgrenzung dazu, nimmt die konstruktivistische Perspektive nicht einen naturalisierten Ist-Zustand in den Blick, sondern es geht vielmehr darum, wie etwas sein soll. Geschlecht wird zu einer Konstruktion, die innerhalb gesellschaftlicher Strukturen wirkmächtig wird und damit zu etwas Veränderbaren wird. Aus dieser Perspektivierung werden Männlichkeitskonstruktionen erweitert um pflegerische und fürsorgende Kompetenzen. Beide Formen des Geschlechterwissens strukturieren sich entlang heteronormativer Logiken. Dies wird unter anderem durch wiederkehrende Verweise auf Vaterschaft und Väterlichkeit im Vergleich zu Mutterschaft und Mütterlichkeit deutlich. Demgegenüber steht dekonstruktivistisches Geschlechterwissen, welches vor allem in der schwedischen Debatte zu finden ist. Dieses fokussiert nicht nur auf die Veränderung von Männlichkeitskonstruktionen, sondern eröffnet Möglichkeitsräume, in denen vergeschlechtlichte Identitäten über Zweigeschlechtlichkeit hinaus gedacht werden können. Durch das Zusammenspiel der divergierenden Formen von Geschlechterwissen werden in der Auseinandersetzung zu Männern und Care-Arbeit vergeschlechtlichte Grenzziehungen verschoben und gleichzeitig heteronormative Macht- und Herrschaftsstrukturen reproduziert.

Für den Ländervergleich lässt sich festhalten, dass sich in beiden Ländern alle drei herausgearbeiteten Formen von Geschlechterwissen finden lassen, welche im Zusammenspiel ähnlichen Regelhaftigkeiten folgen. Sowohl im deutschen als auch im schwedischen Geschlechterdiskurs findet sich eine vergeschlechtlichte Ambivalenz, in der sich Männlichkeitskonstruktionen zwischen dem Desiderat einer neuen/alternativen, fürsorgenden und pflegenden Männlichkeit und der Problematisierung einer potentiell missbrauchenden Männlichkeit, bewegen.

Aufgrund der im Vorhergehenden ausgeführten länderspezifischen Rahmungen ist Geschlechterwissen jedoch mit divergierenden Sag-, Sicht- und Hörbarkeiten belegt. Die Hervorbringung von Geschlechterwissen unterliegt dabei einer permanenten Prozesshaftigkeit. Besonders deutlich wird dies in der Debatte in Deutschland. Zu Beginn der Auseinandersetzung lassen sich auf politischer Seite vor allem Aussagen, die auf eine biologistische Differenz fokussieren, finden. Im Laufe der Debatte lässt sich hier eine Verschiebung zu etwas Nicht-Sagbaren erkennen. So war zum Beispiel am Anfang die Forderung nach mehr Männern, die mit den wilden Jungs Fußballspielen sehr prominent. Diese Argumentationsfigur hat mittlerweile stark an Relevanz verloren. Vielmehr finden sich insbesondere in den Auseinandersetzungen zu einer geschlechterreflektierten Pädagogik vermehrt Aussagen, die tradierte Normen in Frage stellen und über Zweigeschlechtlichkeit hinausgehen.

Können Sie noch etwas genauer explizieren, was konkret dekonstruktivistisches Geschlechterwissen in Bezug auf den schwedischen Diskurs bedeutet?

Auch in der schwedischen Auseinandersetzung sind überwiegend naturalisierte und konstruktivistische Formen von Geschlechterwissen hegemonial, daneben finden sich jedoch immer wieder Verweise, in denen binäre vergeschlechtlichte Differenzierungen in Frage gestellt werden. Damit einher geht die Problematisierung, dass in der Forderung nach mehr Männern eine Geschlechtermachtordnung (könsmaktordning) reproduziert wird, die es aus Gleichstellungsperspektive aufzulösen gilt. So ist zum Beispiel im nationalen Lehrplan für Vorschulen die Veränderung tradierter Geschlechterverhältnisse als explizites Ziel formuliert. Im Sinne der Auflösung tradierter Normen soll den Kindern die Möglichkeit eröffnet werden, eine Identität jenseits tradierter Geschlechtervorstellungen zu entwickeln, was auch ein Jenseits von Zweigeschlechtlichkeit mit einschließt.

Klingt sehr spannend. Aus der Perspektive der Koordinationsstelle ergeben sich für eine Gleichstellungspolitik, die einerseits Frauen und Männer adressiert und andererseits die verhältnismäßig geringe Attraktivität für die Beschäftigten der professionellen Sorgearbeit (insbesondere Frauen), als auch das Wegbrechen traditionell männlich konnotierter Arbeitsplätze berücksichtigt, zwei wichtige strategische Ziele:
a)    die gesellschaftliche Aufwertung professioneller Sorgearbeit (inklusive der Elementarpädagogik) und
b)    die Etablierung einer gender- und diversitätsbewussten Öffnung der professionellen Sorgearbeit hin zu neuen Personengruppen, die bisher im Sektor unterrepräsentiert sind.
Mit dem Bundesmodellprogramm ‚Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas‘ wird aktuell in Deutschland versucht, bundesweit eine vergütete, geschlechtersensible und erwachsenengerechte Ausbildung zu etablieren. Diese soll aber auch zur Aufwertung des Berufsfeldes beitragen. Wie schätzen Sie dieses Vorhaben vor dem Hintergrund ihrer Studie ein und gibt es ähnliche Diskussionen in Schweden?

Aus Perspektive meiner Forschungsergebnisse fällt mir insbesondere die Verschiebung von Problematisierungen, die die Debatte ermöglichen, auf. Viel deutlicher als zu Beginn der Auseinandersetzung um Männer in Kitas stehen nun ökonomische Veränderungen und damit einhergehende arbeitsmarktpolitische Herausforderungen im Fokus. Gleichzeitig bleiben mit der Verortung im BMFSFJ gleichstellungspolitische Zielsetzungen bestehen. Damit wird ein Raum geschaffen, indem es sowohl möglich ist vergeschlechtlichte Arbeitsmarktstrukturen aufzubrechen, als auch Geschlechterverhältnisse (neu) auszuhandeln.

Gleichzeitig geht es mit der Verknüpfung von Arbeit und Geschlecht nicht mehr nur um die Rekrutierung von Männern in einen sogenannten ‚Frauenberuf‘, vielmehr erfolgt eine (neue) Aushandlung vergeschlechtlichter Care-Arbeit. Hieraus resultiert eine Verknüpfung zwischen individuellen und strukturellen Momenten, die sich in den unterschiedlichen Zielsetzungen, die im Rahmen des Bundesmodellprogramms verfolgt werden, widerspiegeln. Dabei sollte aus Gleichstellungsperspektive, die insbesondere auch auf den Abbau der Benachteiligung von Frauen zielt, die historische Gewordenheit vergeschlechtlichter Arbeitsmarktstrukturen nicht aus dem Blick geraten.

In den Fokus rücken damit gesellschaftliche Erwartungen und Normierungen, was sich ja auch in den Zielen der gesellschaftlichen Aufwertung von (professioneller) Sorgearbeit sowie der Frage nach einer gender- und diversitätsbewussten Öffnung des Bereichs widerspiegelt. Eine verbesserte berufliche Entlohnung alleine scheint dabei nicht per se zu einer permanenten Steigerung des Männeranteils zu führen. So erhalten zum Beispiel Vorschullehrer*innen in Schweden mit durchschnittlich 27.000 Kronen in etwa ein schwedisches Durchschnittsgehalt. Spannend ist, wie in den Interviews immer wieder betont wurde, dass in der gesellschaftlichen Wahrnehmung das Gehalt deutlich geringer eingeschätzt wird, als der tatsächliche Lohn für Vorschullehrer*innen ist.

Anzumerken sind an dieser Stelle die unterschiedlichen Ausrichtungen und Zuständigkeiten des elementarpädagogischen Bereichs in Deutschland und Schweden. Während in Deutschland die Zuständigkeit der Kinderbetreuung beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt und damit eine Fokussierung auf Sorgearbeit sowie Wohlfahrtspolitik zu erkennen ist, fällt der elementarpädagogische Bereich in Schweden seit 1996 in den Zuständigkeitsbereich des Bildungsministeriums. Dies führte unter anderem dazu, dass die schwedischen Kindertageseinrichtungen mittlerweile als Vorschule (förskolan) bezeichnet werden. Ebenso wurde ein nationaler Lehrplan für die Vorschule entwickelt und es erfolgte eine Akademisierung der Ausbildung. Im Moment gibt es eine Kampagne der schwedischen Schulbehörde zur Rekrutierung von Vorschullehrer*innen. Die Debatte um Männer in der Vorschule hat auf politischer Ebene in Schweden jedoch deutlich an Bedeutung verloren. Dies lässt sich insbesondere auf den Regierungswechsel 2014 hin zu einer Minderheitsregierung der Sozialdemokraten und der Grünen zurückführen.

Meiner Einschätzung nach sollte in der Debatte um die Aufwertung des elementarpädagogischen Bereichs stärker die Frage nach der Wirkmächtigkeit von Geschlecht diskutiert werden. So stellt sich zum Beispiel die Frage, warum der Bereich per se als weiblich verstanden wird und welche Ausschlussmechanismen mit dieser vergeschlechtlichten Differenzsetzung einhergehen. Gleichzeitig finde ich es spannend, Möglichkeiten zu diskutieren, die den Eintritt in den elementarpädagogischen Bereich unabhängig von Geschlecht erlauben. So findet sich in der schwedischen Debatte aus politisch-pädagogischer Sicht auf Ebene des Personals und der Organisationsstrukturen immer wieder die Forderung nach einer geschlechtsneutralen Professionalität, die das Berufsfeld unabhängig von vergeschlechtlichten Zuschreibungen attraktiv für unterschiedlichste Personengruppen gestalten soll.

Frau Diewald, sie plädieren einerseits für die Berücksichtigung der historischen Gewordenheit vergeschlechtlichter Arbeitsmarktstrukturen und andererseits für eine geschlechtsneutrale Professionalität. Ist das nicht ein Widerspruch? Das Feld der frühkindlichen Bildung ist doch historisch betrachtet, hochgradig vergeschlechtlicht. Bedarf es nicht eher der Strategie, gewachsene Differenzstrukturen anzuerkennen bzw. empirisch im Feld zu rekonstruieren, und das von Paul Mecheril in einem anderen Kontext beschriebene Spannungsverhältnis zu berücksichtigen, dass zwischen Differenzfixiertheit einerseits und Differenzblindheit andererseits liegt.

Ich plädiere auch nicht für eine De-Thematisierung von Geschlecht, ganz im Gegenteil, die Herausforderung ist ja gerade (vergeschlechtlichte) Differenzen aufzuzeigen und zu thematisieren, ohne identitäre Zuschreibungen und die damit verbundenen Ungleichheitsverhältnisse sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu reproduzieren. Um mit Mecheril zu sprechen, geht es darum Achtsamkeit für Differenzen zu entwickeln ohne Identitätsdenken zu fixieren. Zum Ziel wird damit, dass in der Frage angesprochene Spannungsfeld zwischen Differenzfixiertheit und Differenzblindheit, welches die Debatte auch maßgeblich formt, sichtbar zu machen und einen produktiven Umgang mit diesem zu finden.

Der Logik der schwedischen Debatte folgend, sehe ich daran anschließend geschlechtsneutrale Professionalität und die Frage nach Differenz nicht als etwas sich gegenseitig ausschließendes, sondern vielmehr in Verflechtung zueinander. Die Reflexion von (Geschlechter-)differenzen und die diesen zugrundliegenden heteronormativen Strukturen werden somit zu einem Teil geschlechtsneutraler Professionalität. In der schwedischen Debatte lässt sich immer wieder der Verweis auf eine reflexive Erziehermännlichkeit und, gedacht in einer Zweigeschlechtlichkeit, auch Weiblichkeit finden. Mit dem Eintreten in das Berufsfeld wird es zum Ziel eigenes Geschlechterwissen zu reflektieren und damit Tradierungen entgegen zu wirken. Die Problematisierung von vergeschlechtlichtem Wissen und die damit einhergehende Geschlechtermachtordnung wird zu einem Teil der akademischen Ausbildung der Erzieher*innen.

Nicht unberücksichtigt bleiben dürfen an dieser Stelle länderspezifische Eigenheiten. Aufgrund divergierender hegemonialer Sagbarkeiten, folgt der Umgang mit (Geschlechter-)differenzen jenseits identitärer Zuschreibungen in beiden Ländern unterschiedlichen Regelhaftigkeiten. So hat die Auseinandersetzung mit vergeschlechtlichen Machtstrukturen in Schweden eine viel längere Historizität und die Veränderung von Geschlechterverhältnissen wird als zentrale gesellschaftliche Querschnittsaufgabe gesehen. Im Gegensatz dazu ist in Deutschland die Frage nach Geschlechterungleichheiten ein viel stärker umkämpftes Feld, was sich aktuell unter anderem in öffentlichen antifeministischen und antigenderistischen Diskursen deutlich zeigt. Gleichzeitig scheint es schwierig gleichstellungspolitische Programmatiken jenseits einer identitätspolitischen Ausrichtung zu platzieren. So lässt sich in der Namensgebung ‚Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas‘ eine klare identitäre Ausrichtung des Programms erkennen, während die Frage nach der Hervorbringung und Machtwirkung von Differenz gerade mit der identitätspolitischen Ausrichtung des Programms bricht und konstruktivistisches Geschlechterwissen wirkmächtig wird.

Deutlich wurde im Rahmen meiner Arbeit, dass in der Auseinandersetzung zu Männern in Kitas ganz unterschiedliche Positionen eingenommen werden können. Aus einer diskurstheoretischen Perspektive lässt sich damit festhalten, dass es nicht die eine Wahrheit gibt, sondern viele unterschiedliche Wahrheiten, die mit einer diskursiven Aushandlung und Kämpfen um Sagbarkeiten einhergehen. Das macht die Debatte zu Männern in Kitas zu etwas Unabschliessbarem, indem Geschlechterverhältnisse immer wieder neu ausgehandelt werden.

Vielen Dank, für das Interview.