"Es bleibt die Frage offen, wie Quereinstiegsmodelle dem Qualitätsanspruch des Feldes einerseits und den Lebenslagen der Quereinsteiger/innen andererseits gerecht werden können."
Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig ist Professorin für Empirische Sozialforschung mit dem Schwerpunkt Sozialstrukturanalyse an der Evangelischen Hochschule Dresden. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Empirische Sozialforschung, Sozialstrukturanalyse und qualitative Methoden der Sozialforschung. Ihre Forschung umfasst die Themen Soziale Ungleichheit, Entwicklung sozialer Dienstleistungsberufe, Arbeitsmarktforschung und Gender Aspects.
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In Ihrer Studie „Quereinstiege in Kindertagesbetreuung und Altenpflege – Ein Bundesländervergleich“ für die Hans-Böckler-Stiftung betrachten Sie die Arbeitsmarktsituation, die Situation in der Kindertagesbetreuung und die Möglichkeiten des Quereinstiegs in das Feld und bringen diese in einen Zusammenhang. Was sind die zentralen Erkenntnisse Ihrer Studie?
Ziel unserer Studie war es, die existierenden Quereinstiegswege in den einzelnen Bundesländern herauszuarbeiten, zu kategorisieren und sie vor dem Hintergrund folgender Fragen zu analysieren: Welche Perspektiven eröffnen sich für fachnahe und fachfremde Quereinsteigende? Welche qualifikatorischen Mindestanforderungen werden gesetzt? Existieren Abweichungen zwischen den einzelnen Bundesländern? Nicht zuletzt interessierten wir uns auch für etwaige Öffnungen der Fachkräftekataloge und welche Verkürzungsmöglichkeiten von den Bundesländern toleriert bzw. welche Voraussetzungen von den Quereinsteigenden für eine Verkürzung der Ausbildungszeiten erwartet werden. Um kurz auf diese Fragen zu antworten: Es gibt nicht die eine Quereinstiegsperspektive, sondern welche Wege und Personengruppen gefördert werden, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Aufgrund des föderalen Systems in Deutschland und der damit einhergehenden Länderhoheit in den Bereichen Bildung und Erziehung haben sich in den einzelnen Bundesländern ganz unterschiedliche Herangehensweisen etabliert. Mit Blick auf die zeitliche Ausgestaltung haben wir festgestellt, dass die Quereinstiegsqualifizierungen durchaus von den originären Ausbildungsformen abweichen. Es finden sich im gesamten Bundesgebiet berufsbegleitende Programme, manche Qualifizierungen werden in Teilzeit angeboten, Verkürzungsmöglichkeiten ergeben sich insbesondere für fachnahe Quereinsteigende, also Personen, die in einem artverwandten Berufsfeld bereits eine Ausbildung abgeschlossen haben oder z.B. als Tagespflegepersonen über einen längeren Zeitraum hinweg tätig waren. Personen, die mit dem Gedanken spielen, in die Kindertagesbetreuung einzusteigen, benötigen deutschlandweit mindestens einen Hauptschulabschluss, in den meisten Fällen jedoch einen Realschulabschluss. Ein Quereinstieg auf Hilfskraftebene ist nahezu unmöglich, hier unterscheidet sich das Feld Kindertagesbetreuung deutlich von anderen sozialen Dienstleistungsberufen, etwa der Altenpflege.
Quereinstieg im Kontext arbeitsmarktpolitischer Notwendigkeiten forciert
Wichtig ist vielleicht festzuhalten, dass das Thema Quereinstieg in die Kindertagesbetreuung in Deutschland kein Thema ist, das aus einer pädagogischen Debatte um die Notwendigkeit einer Öffnung von Berufsgruppen oder Orientierung an neuen Kompetenzprofilen resultiert, sondern in erster Linie von arbeitsmarktpolitischen Notwendigkeiten forciert wurde. Im Zuge des U3-Rechtsanspruchs und dem quantitativen Ausbau der Betreuungsplätze in ganz Deutschland wurde schnell deutlich, dass die damit einhergehenden Fachkräftebedarfe auf natürlichem Weg, d.h. durch originäre Ausbildungspfade, nicht gedeckt werden können. Dementsprechend haben sich die Länder gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und den verschiedenen Expertengruppen über Fördermöglichkeiten verständigt.
Erhöhter Fachkräftebedarf führt nicht zwingend zur Etablierung von Quereinstiegsmodellen in den Bundesländern
Dennoch hat sich eine unserer Forschungshypothesen beispielsweise nicht bestätigen lassen: Wir gingen davon aus, dass ein Bundesland mit erhöhtem Fachkräftebedarf eine Vielzahl an Maßnahmen zur Akquise neuer Fachkräfte, darunter auch Quereinstiegsmodelle, aufweisen müsste. Dies war jedoch nicht immer der Fall.
In Thüringen beispielsweise lag die Betreuungsquote im ostdeutschen Vergleich am niedrigsten, die Fachkraft-Kind-Relation ist eine der schlechtesten in ganz Deutschland (Weimann-Sandig/Weihmayer/Wirner 2016: 103). Dennoch konnten wir kein ausgewiesenes Qualifizierungs- oder Ausbildungsprogramm für Quereinsteigende ausfindig machen. Angeboten wird hier lediglich der Quereinstieg durch die sogenannte Externenprüfung.
Das Nachbarland Sachsen mit einer ähnlichen Ausgangssituation versucht den gestiegenen Fachkräftebedarfen hingegen mit ganz unterschiedlichen Quereinstiegsmodellen gerecht zu werden.
Berufsbegleitende Ausbildungen entsprechen den Wünschen von Quereinsteigenden
Bei aller Varianz an Quereinstiegsmodellen bleibt jedoch immer die Frage offen, welche Modelle sich tatsächlich eignen, um einerseits den Lebenslagen der Quereinsteigenden, andererseits aber natürlich auch den Qualitätsansprüchen des Feldes gerecht zu werden. Dieser Frage sind wir in unserer zweiten Studie nachgegangen, die sich momentan noch in der Veröffentlichungsphase befindet. Hier zeigt sich, dass insbesondere die berufsbegleitende Ausbildung für die meisten Quereinsteigenden diejenige Form ist, die ihren Wünschen nach Praxisbezug und theoretischer Reflektion am ehesten entspricht. Auch die ausbildenden Einrichtungen reagieren zumeist positiv, da die Quereinsteigenden viel Zeit im Praxisfeld verbringen.
Welche Herausforderungen zeichnen sich aktuell ab? Und warum?
Der Ausbau der Kindertagesbetreuung hat die Länder, insbesondere aber die Kommunen, in den letzten Jahren stark herausgefordert. Dabei stand vor allem die Platzsituation, d.h. der quantitative Ausbau, mit Blick auf den Rechtsanspruch im Vordergrund. Ganz klar ist aber, dass eine Erhöhung der Einrichtung und generell der Platzzahlen für jeden Träger die Notwendigkeit mit sich bringt, sich mit der Qualität der geleisteten Arbeit auseinanderzusetzen. Es bringt also nichts, die Mitarbeiterzahlen zu erhöhen, wenn man als Träger keine klare Erwartungshaltung hat, welche Anforderungen und Kompetenzen Personen, die im Feld Kindertagesbetreuung arbeiten, mit sich bringen.
Quereinstieg in erster Linie auf Fachkraftebene möglich
Dennoch – und das sollte an dieser Stelle auch einmal gesagt werden, können wir auf Basis unserer Studienergebnisse nicht feststellen, dass sich die Bundesländer entschieden hätten, die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten durch die etablierten Quereinstiegsmöglichkeiten abzusenken. Ein Quereinstieg ist in erster Linie auf Fachkraftebene möglich, nur einzelne Bundesländer versuchen den gestiegenen Personalbedarf auch durch den Quereinstieg auf Hilfskraftebene zu decken. Intentionen, den gestiegenen Personalbedarf durch eine Senkung des Fachkraftschlüssels zu erreichen, konnten wir zum Zeitpunkt unserer Studie folglich nicht erkennen.
Quereinsteigende in Teams
In der zweiten Studie, die momentan im Erscheinen ist, haben wir uns noch konkreter mit der Frage professionellen Handelns von Quereinsteigenden auseinandergesetzt. Hier fiel auf, dass gerade die Quereinsteigenden in den Einrichtungen als Personen wahrgenommen werden, die ihr berufliches Handeln in hohem Maße reflektieren und die durch ihre früher erworbenen Berufskompetenzen eine Bereicherung für die Arbeitsteams darstellen.
Männliche Quereinsteigende
Mit Blick auf die männlichen Quereinsteigenden konnten wir eine klare Motivation zum Erreichen von Leitungspositionen feststellen, d.h. gerade die Männer in unserem Sample zeigten großes Interesse an organisationalen und verwaltenden Aufgaben und führten dies oftmals auf Kenntnisse aus dem Erstberuf zurück. Als klare Herausforderungen mit Blick auf unsere Studienergebnisse sehe ich die Analyse der Leitungsqualifikationen jetziger Führungskräfte. Wie gelingt es diesen, die sich stetig ausdifferenzierenden Arbeitsteams zu koordinieren? Sind Leitungskräfte in der Kita dafür überhaupt ausreichend qualifiziert? Gerade vor dem Hintergrund einer bisher noch nicht dagewesenen Durchmischung und Pluralisierung der Kita-Teams mit Blick auf Alter, Geschlecht, Herkunft und Lebensphasenorientierung braucht es klare Führungskompetenzen und auch spezifische Teamstrukturen, um jeden Mitarbeitenden professionell ins Team zu integrieren.
Multiprofessionelle Teams
Dies wird umso bedeutsamer, wenn wir über das Entstehen multi-professioneller Teams, wie wir sie schon in einigen Familienzentren haben, nachdenken. Ziel ist es hier, die unterschiedlichen Bedarfe der Kinder durch ein multiprofessionelles Team, z.B. bestehend aus KindheitspädagogInnen, ErzieherInnen, LogopädInnen, TherapeutInnen innerhalb einer Einrichtung zu betreuen, die Mitarbeitenden sind folglich dort alle angestellt. Dies führt in den Einrichtungen unweigerlich zu neuen Herausforderungen: die Alltagsstrukturen verändern sich, neue Zeitplanungen werden notwendig, Gruppenkonzepte müssen überdacht, (teil-)offenes Arbeiten neu strukturiert, Personaleinsatzplanungen neu strukturiert werden. Inwieweit multi-professionelle Teams zu einer Verschiebung der Fachkräftebedarfe beitragen können, ist klares Forschungsdesiderat. Hier müssen wir uns in einer anwendungsorientierten Forschung gemeinsam mit der Praxis überlegen, welchen Mehrwert multi-professionelle Teams für die Qualität (früh-)kindlicher Betreuung haben können.
In Bezug auf die weitere Quereinstiegsstudie, die im Erscheinen ist, weisen Sie auf positive Effekte der berufsbegleitenden Ausbildung hin. Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Bei Quereinsteigenden handelt es sich in der Regel um Personen im mittleren Lebensalter, d.h. diese Personen befinden sich mehrheitlich in einer Lebensphase, in der die eigene Familie, vor allem die Versorgung von Kindern eine wichtige Rolle spielt. Entsprechend den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen war auch ein erheblicher Teil von Personen unseres Samples alleinerziehend, musste also Ausbildung und Kinderbetreuung ebenso wie die finanzielle Versorgung in Einklang bringen. Gerade deshalb stellt die berufsbegleitende Ausbildung einen wichtigen motivationalen Anreiz zum Quereinstieg dar. Sie ist vergütet.
PIA in Baden-Württemberg – Pluspunkt Vergütung
Wir haben uns in der Studie die Praxisintegrierte Ausbildung (PIA) in Baden-Württemberg sowie das Modell „Profis für die Praxis“ in Brandenburg näher angesehen, das bedeutet, wir waren in beiden Bundesländern vor Ort und haben Interviews mit Einrichtungsleitungen, Schulleitungen und Gruppendiskussionen mit Programmteilnehmenden geführt. Kurz zum Hintergrund der beiden Programme: Ziel von PIA war es die – im Ländervergleich – hohe Fachkräftelücke in Baden-Württemberg nicht nur schließen zu können, sondern bewusst auch neue Personengruppen (z.B. Männer oder Menschen im mittleren Lebensalter) für den Erziehungsberuf zu begeistern. Der erste Ausbildungsgang startete bereits im Schuljahr 2012/2013, seither sind die Anmeldezahlen in Baden-Württemberg kontinuierlich gestiegen. Im Unterschied zur schulischen Ausbildung beträgt die Dauer hier nur drei Jahre, diese Verkürzung wird mit der Anrechnung der beruflichen Vorerfahrung der Quereinsteigenden begründet. Die Ausbildung gliedert sich in einen theoretischen Teil an einer Fachschule für Sozialpädagogik und einen praktischen Teil, der in einer sozialpädagogischen Einrichtung verortet ist. Für die Vermittlung der Lerninhalte gelten die gleichen Rahmenbedingungen wie bei der schulischen Ausbildung. Die Besonderheit besteht darin, dass die Quereinsteigenden sowohl mit der Schule als auch der auszubildenden Einrichtung einen eigenen Ausbildungsvertrag abschließen. Alle Schulen verfügen über eine Auswahl an Kooperationseinrichtungen, welche den praktischen Teil der Ausbildung übernehmen. Während der gesamten Schulzeit werden die Quereinsteigenden von einer Praxislehrkraft betreut. Herausstechendes Merkmal ist sicherlich die Vergütung der Ausbildung, ebenso haben die Quereinsteigenden im Gegensatz zur schulischen Ausbildung keine Ferien, sondern Urlaubsansprüche, die mit den ausbildenden Einrichtungen verhandelt werden.
Profis für die Kitas in Brandenburg – Für und wider Verkürzung
Beim Programm „Profis für die Praxis“ in Brandenburg handelt es sich um eine Quereinstiegsmöglichkeit, die auf zwei Jahre verkürzt wurde. Dies ist möglich, da sich die vermittelnden Lerninhalte nur auf die kindliche Entwicklung zwischen dem ersten und dem zwölften Lebensjahr beschränken. Die originäre ErzieherInnenausbildung nimmt das Aufwachsen hingegen bis zum Erwachsenenalter in den Blick und bietet auf diese Weise vielfältigere Einsatzmöglichkeiten, da die Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ebenfalls ein Tätigkeitsfeld darstellt. Quereinsteigende, die das Programm „Profis für die Praxis“ absolvieren, können hingegen nur im Krippen-, Kita- oder Hortbereich eingesetzt werden. Dies wurde vom Land Brandenburg bewusst so angelegt, da gerade in diesen Bereichen ein Fachkräfteengpass besteht und man zudem mit einer kontinuierlichen Abwanderung von Berufstätigen zu kämpfen hat. Um die Ausbildung tatsächlich für das eigene Bundesland nutzen zu können, versucht man mit dieser Beschränkung eine Abwanderung der neu ausgebildeten Fachkräfte zu vermeiden.
Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen herausfordernd
Beide Programme werden von allen Beteiligten heterogen beurteilt. Kritikpunkte entzünden sich gerade bei den Quereinsteigenden in Brandenburg an dem knapp bemessenen Ausbildungszeitraum von zwei Jahren, der einerseits zwar dazu beitragen soll, dass man in relativ kurzer Zeit im neuen Beruf arbeiten kann, für Teilnehmende mit familiären Verpflichtungen aber bedeutet, dass sie kaum Ausfallzeiten aufgrund von Kinderbetreuung oder Erkrankung der Kinder haben dürfen, damit sie die benötigten Pflichtstundenzahlen nicht unterschreiten und Gefahr laufen, die Ausbildung nicht zu bestehen.
Theorie-Praxis-Verzahnung positiv
Positiv wird sowohl von den Quereinsteigenden als auch den Einrichtungsleitungen die enge Theorie-Praxis-Verzahnung hervorgehoben. Da die Quereinsteigenden im Vergleich zur fachschulischen Ausbildung kontinuierlich und zeitlich sehr viel umfangreicher in den Einrichtungen arbeiten, entsteht eine völlig andere Bindung zu den zu betreuenden Kindern, ebenso erfolgt die Integration in die Arbeitsteams problemloser. Für die Schulleitungen liegt der Mehrwert dieses Quereinstiegsmodells in der Verknüpfung der theoretisch zu vermittelnden Lerninhalte mit den konkreten Praxiserlebnissen der Schülerinnen und Schüler, wodurch die berufliche Selbstreflexion erhöht wird. Nach Meinung der Schulleitungen warten diese Quereinsteigenden mit einer deutlich professionellere Haltung zum Ende der Ausbildung auf als originäre Auszubildende.