Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung ist eine Herausforderung
In diesem Sommer schließen die ersten Absolvent/innen des ESF-Bundesmodellprogramms „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“* ihre Ausbildung ab. Anlässlich der ersten Abschlüsse im Programm haben wir Ulrike Amann und Susanne Bittner von der Servicestelle Quereinstieg der Stiftung Sozialpädagogisches Institut Berlin (SPI) „Walter May“ gebeten uns einige Fragen zu den Teilnehmenden zu beantworten.
Susanne Bittner und Ulrike Amann sind in der Servicestelle Quereinstieg der Stiftung Sozialpädagogisches Institut (SPI) tätig. Die Servicestelle unterstützt das BMFSFJ sowie das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben(BAFzA) bei der inhaltlich-fachlichen Beratung und Begleitung der 12 Modellstandorte im Modellprogramm. Die Servicestelle ist dabei u. a. auch für das Programmmonitoring und für Befragungen der beteiligten Fachschulen, Kindertageseinrichtungen sowie Fachschülerinnen und –schüler zuständig. Die hier vorgestellten Ergebnisse entstammen den genannten Quellen.
Wie setzen sich die Teilnehmenden des ESF-Modellprogramms zurzeit zusammen?
Die Ausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher im Rahmen des ESF-Modellprogramms „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ wird modellhaft an 12 Standorten in sechs Bundesländern angeboten - Berlin, Brandenburg, Hessen, NRW, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Bisher konnten knapp 680 Personen diese Ausbildung beginnen. Die Teilnehmenden des Modellprogramms unterscheiden sich dabei in einigen Punkten von den Fachschülerinnen bzw. –schülern in der regulären Vollzeitausbildung zur Erzieherin bzw. zum Erzieher weisen folgende Besonderheiten auf:
- Den Vorgaben des Programms folgend haben alle Teilnehmende zuvor fachfremde Berufsabschlüsse und Berufserfahrungen erworben - davon über ein Drittel aus dem Bereich Wirtschaft/Verwaltung (also bspw. Kaufmännische Ausbildungsberufe),
- Der Männeranteil liegt mit 35 % weit über dem Bundesdurchschnitt, dieser liegt bei etwa 17 %,
- Die Teilnehmenden sind bei Eintritt in die Ausbildung mit durchschnittlich 35 Jahren etwa 10 Jahre älter als diejenigen in der regulären Vollzeitausbildung,
- die Hälfte der Teilnehmenden haben als höchsten Schulabschluss die Hochschulreife erworben,
- Jeder fünfte Teilnehmende hat einen akademischen Berufsabschluss,
- Bei über der Hälfte der Teilnehmenden lebt mindestens ein unterhaltpflichtiges Kind im Haushalt, davon ist knapp die Hälfte alleinerziehend. Ein Fünftel davon sind Väter. Auch hier sind die Männer im Vergleich zu Bundesschnitt überproportional vertreten, der Bundesdurchschnitt liegt bei etwa 15 %.
Im Modellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ sind die teilnehmenden Quereinsteigenden sozialversicherungspflichtig angestellt und erhalten eine Vergütung in Höhe von mind. 1.250 Euro Arbeitgeber Brutto. Durch die sozialversicherungspflichtige Anstellung stehen ihnen bei Bedarf zusätzliche staatliche Transferleistungen wie z. B. Wohngeld zur Verfügung. Sie haben 2017 die Teilnehmenden im ESF-Modellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ zu ihrer Ausbildungssituation befragt. In welcher finanziellen Situation befinden sich die Quereinsteiger/innen?
Ziel unserer Befragung war es, die Perspektive der Projekt-Teilnehmenden abzubilden und unter anderem die finanziellen Rahmenbedingungen der Ausbildung aus ihrer Sicht zu beleuchten.
In der Befragung haben wir die Teilnehmenden nach dem Netto-, dem Brutto- und dem Haushaltseinkommen befragt. Über die Hälfte erzielen ein monatliches Nettoeinkommen zwischen 800 € und 1000 €, über ein Drittel zwischen 700 € und 800 €. In anderen Studien zu berufsbegleitenden Ausbildungsformaten zeigt sich, dass bundesweit der Verdienst zwischen den Bundesländern sehr schwankt. So verdienen berufsbegleitende Auszubildende je nach Bundesland zwischen 350 € und 1200 €*. Vergleicht man diese Zahlen mit Ausbildungsberufen gemäß BBiG, bei denen die Vergütung seit jeher geregelt ist, fällt auf,dass das erzielte Gehalt vergleichsweise hoch, wie die jährlich veröffentlichte Studie des DGB** zeigt.Berücksichtigt werden muss allerdings, dass die finanziellen Verpflichtungen der um einiges älteren und oft mit familiären Pflichten belegten Teilnehmenden weitaus höher sind als die von Auszubildenden, die direkt nach dem Schulabschluss ihre Ausbildung beginnen. Es ist also nicht erstaunlich, dass die Ausbildung von zweidrittel der Befragten als finanzielle Belastung eingeschätzt wird. Dieser Vergleich soll zur allgemeinen Einordnung der Vergütung dienen.
Erfreulicherweise gibt es keinen Unterschied zwischen der finanziellen Vergütung beim Bruttoverdienst von Männern und Frauen. Es gibt allerdings geschlechtsspezifische Unterschiede, und zwar in Bezug sowohl auf das Nettoeinkommen, als auch beim Haushaltseinkommen. Das von den Männern angegebene Nettoeinkommen liegt in der Regel höher, was vermutlich mit der Steuerklasse zu tun hat. Frauen hingegen geben interessanterweise ein höheres Haushaltseinkommen an, was vermutlich an den traditionellen Haushaltsstrukturen liegt: die Frau als ‚Zuverdienerin‘ und der Mann als ‚Hauptverdiener‘.
Im Kontext berufsbegleitender vergüteter Ausbildungsmodelle für Erzieher/innen wird von vielen Akteuren immer wieder auf die starke Arbeitsbelastung während der Ausbildung aufmerksam gemacht.
Wie äußern sich die Quereinsteiger/innen im Programm dazu? Welche Angaben machen sie zu den Rahmenbedingungen ihrer Ausbildung?
Dies trifft insbesondere auf die Teilnehmenden mit familiären Pflichten zu, denn neben den finanziellen Fragen ist die die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung eine Herausforderung. Diese Personengruppe ist besonders auf eine gute Organisation der Ausbildung an den wechselnden Lernorten Fachschule und Praxis angewiesen. Die Standorte haben hier zwei unterschiedliche Modelle entwickelt: entweder sind die Ausbildungsanteile an Fachschule und Kita innerhalb einer Woche abwechselnd organisiert (bspw. 3 Tage Schule, 2 Tage Kita), oder aber in Blöcken von mehreren Wochen hintereinander.
Unabhängig vom Modell der Ausbildungsorganisation bringt die Ausbildung insgesamt eine hohe zeitliche Arbeitsbelastung mit sich: Im Schnitt verbringen die Quereinsteigenden mehr als 40 Stunden die Woche mit der Ausbildung. Dazu zählen Präsenzzeiten an den beiden Lernorten genauso wie Selbstlernphasen. Zur Einordnung der Zahlen dient hier wieder die Studie des DGBs (siehe oben). Dieser hat die Selbstlernphasen jedoch nicht mit erhoben. Laut der Studie machen etwa 36,2 % der Auszubildenden regelmäßig im Schnitt wöchentlich 4,2 Überstunden und kommen so im Schnitt ebenfalls auf über 40 Stunden die Woche. Diese Anforderungen stellen, wie schon beschrieben, für Quereinsteigende mit familiären Verpflichtungen eine große Herausforderung bei der Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie dar.
Ansonsten decken sich die Einschätzungen der Quereinsteigenden an der Ausbildung mit der generellen Kritik an den Rahmenbedingungen am jeweiligen System Fachschule bzw. Kita. An der Ausbildung am Lernort Kita wird bspw. der hohe Personalmangel im Team und die fehlende Zeit für die Anleitung kritisiert. Am Lernort Fachschule stoßen sich die Befragten besonders an dem starren, häufig unflexiblen System, bspw. bei Fehlzeiten durch Familienverpflichtungen oder auch an nicht erwachsenengerechten schulischen Vorschriften.
Wie fällt das vorläufige Fazit der Quereinsteiger/innen zum Modellprogramm aus?
Trotz aller Herausforderungen sind über 80 % der Befragten zufrieden mit der Quereinstiegsausbildung. Mehrfach hervorgehoben wurde, dass dies vor allem an den engagierten Projektteams und deren guter Begleitung liegt. Insgesamt wurde aus den bislang vorliegenden Daten deutlich, dass die Teilnehmenden im Projekt sich anscheinend sehr bewusst und mit großer Motivation für diese Ausbildung entschieden haben, trotz hoher finanzieller und zeitlicher Herausforderungen.
Aus Sicht der Servicestelle trägt vor allem eine konstruktive Kooperation zwischen den Lernorten Fachschule und Kindertagesstätte für einen gelingenden Quereinstieg in den Beruf der Erzieherin bzw. des Erziehers bei – eine Kooperation, bei der sich beide Partner als gleichwertige Ausbildungsstätte verstehen. Wesentliche Punkte sind eine erwachsenengerechte Haltung gegenüber den Teilnehmenden, bezogen auf die Ausbildungsorganisation (Stichwort: „Vereinbarkeit“) sowie die Methodik und Didaktik (Stichwort: „Kompetenzorientierung“).
Um noch mehr Quereinsteigende für den Erzieherberuf zu gewinnen, muss für diese Zielgruppe die Vereinbarkeit von Familie und Ausbildung gewährleistet sein. Auch der Rückbezug auf die bereits vorliegenden Kompetenzen und Berufserfahrungen der Quereinsteigenden sowohl in der theoretischen als auch der praktischen Lehre ist ein guter Ansatz und sollte gezielt verstärkt werden.
Und wie fällt Ihr vorläufiges Fazit aus? Welche Perspektiven ergeben sich aus dem Modellprogramm?
Das Modellprogramm zeigt nicht nur Wege auf, wie neue Zielgruppen für die Ausbildung zum/zur Erzieherin gewonnen werden können, sondern auch (neue) Wege für die Ausbildung von kompetenten Fachkräften. Die Einführung der vergüteten und berufsbegleitenden Ausbildung ist Teil einer hochaktuellen politischen Debatte der Länder und kann in der nächsten Zeit die Ausbildungslandschaft in den Bundesländern verändern, die diese Ausbildungsform noch nicht regelhaft im Portfolio haben.
Erste Programmerfolge bzw. mögliche Perspektiven sehen wir bspw. in Hessen. Zwei Kommunen, Frankfurt und Wiesbaden, führen die Finanzierung der Standorte fort und bieten, über die Projektlaufzeiten hinaus, jeweils einen weiteren Ausbildungsjahrgang an. Berlin und Brandenburg wiederum haben die Vergütung von Anleitungsstunden am Lernort Praxis verstetigt bzw. weiter aufgestockt. Auch das Schulgeld an Fachschulen in privater Trägerschaft, welches im Modellprogramm durch ESF-Mittel bezuschusst wurde, wird inzwischen in einigen Bundesländern durch einen öffentlichen Kostenträger übernommen.
DANKE für die Beantwortung der Fragen!
** Der DGB befragt jährlich Auszubildende in dualen Ausbildungsberufen zur Ausbildungszufriedenheit, sowie Rahmenbedingungen. An der aktuellen Befragung haben ca. 12.000 Auszubildende teilgenommen. Link siehe unten.
- Dateien:
- Diskussionspapier_der_Modellprojekte_im_ESF-Bundesmodellprogramm_Quereinstieg_Maenner_und_Frauen_in_Kitas_10.pdf595 Ki
- Links:
- www.dgb.de/presse/++co++bde418c2-8d84-11e7-ac05-525400e5a74a