Zwei Mütter, zwei Väter, zwei Söhne – und eine Journalistin
Im Vorfeld dieses Newsletters haben wir die Journalistin Dagmar Trüpschuch gebeten, über Erfahrungen einer Regenbogenfamilie in der Kita zu berichten. Im Laufe der Berichterstattung sieht sie sich mit der Frage konfrontiert, ob sie nicht gerade durch die gezollte Aufmerksamkeit, ein selbstverständliches Lebensmodell zu problematisieren versucht.
Ich bereite mich auf mein Interview vor, ein Heimspiel denke ich. Ich will eine Regenbogenfamilie interviewen und mit einer der Mütter und den Kindern über ihre Erfahrungen in der Kita sprechen. Doch schon bald merke ich, dass es nicht so leicht ist, ein Thema in den Mittelpunkt zu rücken, das eigentlich kein Thema sein sollte, weil es ja im Jahr 2019 nichts besonderes mehr ist, als Kind von zwei Müttern oder zwei Vätern eine Kita zu besuchen. Und überhaupt Kinder sind Kinder, egal welchen familiären Hintergrund sie haben. Zudem drängt sich mir eine weitere Frage auf: Was erwarte ich? Erzählungen über Homophobie unter den Eltern, lästernde Kinder und Erzieher*innen, die sich entweder an ihren eigenen Vorurteilen abarbeiten oder sich tapfer für die Rechte der Kinder aus Regenbogenfamilien in die Bresche werfen?
Ich mache mich auf in den Prenzlauer Berg, einem Berliner Bezirk, in dem sehr viele junge Eltern wohnen. Dort lebt Julia Scherf mit ihrer Frau, den beiden Vätern und den gemeinsamen zwei Söhnen in einer großen Altbauwohnung. Weil sie die Kinder gemeinsam aufziehen wollten, haben sie drei Wohnungen zusammengelegt. Und die Kinder wechseln frei zwischen dem „Papa- und dem Mamahaus“.
Ich sitze mit Julia Scherf am Esszimmertisch, an dem die Groß-Familie ihre Mahlzeiten oft gemeinsam einnimmt. Sohn Arthur (8) geht in die Grundschule im Eliashof, Gabriel (6) besucht die evangelische Kita „Elias“. „Alles ganz entspannt“, sagt Julia Scherf – sowohl in der Kita als auch in der Grundschule. Die Kita sei sehr aufgeschlossen gegenüber Regenbogenfamilien, schlechte Erfahrungen habe sie nie gemacht auch nicht als Arthur dort mit 14 Monaten aufgenommen wurde. „Die Kita bietet den Rahmen, dass man offen sein kann, die Gemeindearbeit ist ein stabiles Gerüst, ein Wertegerüst, das von den Erzieher*innen geteilt wird“, sagt sie. Zudem gebe es in der Kita auch Bilderbücher, die die Vielfalt der Gesellschaft in all ihren Facetten widerspiegelten. „Die Erzieher*innen nehmen unser Lebensmodell selbstverständlich an, so wie es ist.“
Weiteres Nachfragen erübrigt sich. Was soll ich auch fragen über Familienverhältnisse, die zum einen sehr privat, zum anderen auch in meinem persönlichen Lebensumfeld sehr normal sind? Und gebe ich diesem Familienmodell nicht gerade dadurch einen Sonderstatus, dass ich darüber berichten will?
Arthur stürmt ins Zimmer, gemeinsam mit seinem Freund Adrian. „Schön dich kennenzulernen“, sage ich, meine es auch so und hätte mir doch gewünscht, er hätte noch ein wenig weitergespielt. Was soll ich den Jungen fragen? Auf meinem Zettel steht: „Wie ist es mit zwei Müttern und zwei Vätern aufzuwachsen?“ „Wie finden es die anderen Kinder, dass du zwei Mütter und zwei Väter hast?“ Ich komme mir doof vor, einem Kind diese expliziten Fragen zu stellen und ihm dadurch das Gefühl zu geben, anders zu sein als die anderen.
Ich frage dennoch. „Haben die anderen auch eine große Familie wie du mit zwei Vätern und zwei Müttern?“ „Nein.“ „Wie denn?“ „Eine Mutter und einen Vater.“ Freund Adrian sagt: „Ich habe eine Mutter und einen So-wie-ein Vater.“ Er spricht vom Freund der Mutter. Er findet große Familien besser als kleine – am Familienmodell mit zwei Müttern und zwei Vätern finden weder er noch Arthur irgendetwas Besonderes. Ich frage weiter nach dem Schulalltag, ganz allgemein, unverbindlich, in der Hoffnung einen kleinen Spalt zu finden, in dem ich weitere Fragen platzieren könnte. Nichts.
Julia Scherf erzählt indessen weiter. Dass sie Elternvertreterin in der Kita war, Vater Ulli einen Elternförderverein gegründet habe, um den Dachgarten zu einem Spielplatz auszubauen. Ich frage sie, ob es von Seiten der Eltern jemals Vorurteile gegeben habe? Sie überlegt – und sagt: „Sie waren vielleicht manchmal neidisch, weil wir mehr Zeit für uns haben, weil wir uns Familienleben und Elternabende zu Viert teilen.“ Sie kann es verstehen. „Die Vierer-Ebene entspannt halt“, fährt sie fort. „Doch wir müssen uns gut organisieren, damit das Familienprojekt auch läuft.“
Ich frage weiter: „Haben sich die Kinder jemals anders gefühlt als andere Kinder oder haben sich verteidigen müssen?“ Sie verneint und betont, dass sie ihren Kindern Stärke mit auf den Weg gebe. „Wenn man unser Familienmodell den Kindern als selbstverständlich liebendes Modell vermittelt, dann sind sie auch auf doofe Fragen vorbereitet.“ Wichtig sei, das Leben so zu vermitteln, dass diese Art zu leben eine von vielen Möglichkeiten sei.
Währenddessen kommt Gabriel nach Hause. Er hat mit Freunden auf dem anliegenden Spielplatz gespielt. Ich will ihn nicht direkt nach seinen Erfahrungen als Kind einer Regenbogenfamilie in der Kita fragen. Komme mir sensationslüstern vor in einem Umfeld, wo es keine Sensationen gibt, eingedrungen in einer Familie, die ihr Konzept lebt, das auch die Kinder nicht in Frage stellen, ich jedoch mit Fragen genau zu diesem Modell aufschlage. Ich erkundige mich also nach Gabriels Kita-Alltag. Versuche es subtil. Gibt es eine Verkleidungsecke? Eine Leseecke? Was sind deine Lieblingsbücher? Ich erhoffe mir, er möge antworten „König und König“ oder „Zwei Mamas für Oscar“. Er schaut auf und fängt an zu erzählen von den „unglaublichen Abenteuern der Riesenbirne“. Arthur stimmt ein. Zwei begeisterte Geschichtenerzähler, eine halbe Stunde später kenne auch ich die Abenteuer der Held*innen Mika und Sebastian, die dem verschwundenen Bürgermeister Hieronymus Bergström Severin Olsen auf die Spur kommen.
Es ist Zeit zu gehen. Die Kinder haben sich in ihre Zimmer verzogen. Ich frage Julia Scherf: „Wie nennen die Kinder euch?“ Sie antwortet: „In der Regel bei unseren Vornamen. Aber das hättest du die Jungs auch selbst fragen können.“ Stimmt. Aber auf das Naheliegende bin ich nicht gekommen. So selbstverständlich wie hier alles ist.