Ein Qualitätssicherungsgesetz ist nicht die Lösung für den Fachkräftemangel
Denn die gut ausgebildeten ErzieherInnen müssten zunächst mal auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sein, damit sie die Qualität der frühen Bildung und Erziehung erhöhen können. Um neue Wege zur Gewinnung von Fachkräften zu erschließen, bedarf es zuerst einer differenzierten Analyse des Problems. Und dieses Problem ist keines der Frühpädagogik, es ist das Problem einer Gesellschaft, in der eine grundlegende Umstrukturierung stattgefunden hat, ohne dass die Nebenwirkungen einkalkuliert oder gar bearbeitet worden wären.
Die Sorge für andere – ein Frauenthema
Die Sorge für andere, das war immer die Arbeit der Frauen. Aber die Frauen haben die unbezahlte häusliche Sorge für Kinder, Kranke und Alte zum Teil an Institutionen abgegeben, damit sie selbst erwerbstätig sein können. Das entspricht dem Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft, die diese Entwicklung tatkräftig unterstützt. Unser Bildungssystem ermöglicht die Bildung und Erziehung von Kindern in Kita und Schule. Unser Gesundheitssystem ermöglicht die Pflege von chronisch Kranken und Alten in entsprechenden Institutionen. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass immer noch der Löwenanteil der Pflege von Familienmitgliedern geleistet wird, und zwar auch von Männern. Die gestiegene Lebenserwartung und die Zunahme auch von Alleinstehenden steigert die Anzahl der Pflegebedürftigen weiterhin. Tatsache aber ist: In den Institutionen für die Bildung von jungen Kindern wie in denen zur Pflege sind es nach wie vor mehrheitlich die Frauen, die die Sorge für andere leisten. Und dies zu Gehältern, die den Wandel von beziehungsgestützter häuslicher Sorge zur Erwerbsarbeit in der Dienstleistungsgesellschaft noch immer zu wenig berücksichtigen.
Kein monetär quantifizierbarer Mehrwert bei der Arbeit mit Menschen
Neben der Geringschätzung weiblicher Sorgearbeit ist der Grund darin zu suchen, dass Berufe, die durch die Arbeit mit und an Menschen definiert sind, kein in Geld aufzuwiegendes Produkt aufweisen. Bei Kindern lässt sich vielleicht noch am Schulerfolg ablesen, wie viel Energie Eltern und Fachkräfte in sie investiert haben, und dies ist ja auch der Maßstab für die wirtschaftliche Perspektive: Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Dennoch: Quantifizierbar ist die Arbeit einer Erzieherin in diesem Sinne nicht. Noch weniger ist dies möglich bei der Pflege Kranker und Alter. Hier gibt es keinerlei monetär fassbaren Gewinn, sie bleibt ein Zuschussgeschäft, das wir – gerade wir – angesichts unserer Nazi-Vergangenheit auch hochhalten sollten. Aber die fehlende Quantifizierbarkeit des Arbeitsergebnisses macht es so schwer, für höhere Gehälter zu argumentieren.
Die Kindertageseinrichtungen erfreuen sich inzwischen großer gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und unternehmerischen Interesses, weil hier AUCH Bildungsarbeit geleistet wird, und die braucht die Wirtschaft. Vor allem braucht die Wirtschaft die weiblichen Arbeitskräfte – darum: Her mit den Kitaplätzen, im besten Falle im Unternehmen selbst. Bei der Pflege Gebrechlicher und Alter erlahmt das Interesse der Wirtschaft. Diese Hilfsbedürftigen sind uninteressant, weil sie kein Arbeitskräftepotential darstellen.
Ein Gesamtkonzept für die pflegerischen Aufgaben (Care) ist notwendig
Ich halte es für makaber, wenn diese Berufsgruppen zueinander in Konkurrenz treten. Stattdessen brauchen wir ein Gesamtkonzept für die pflegerischen Aufgaben in der Gesellschaft. Ihre Bewältigung ist Grundlage des humanen Miteinanders – und des wirtschaftlichen Fortschritts. Jede/r war mal klein, jede/r wird mal krank, und viele, viele von uns werden pflegebedürftig in der einen oder anderen Form. Wir müssen die Menschen, die diese wertvolle Arbeit leisten – für die Kleinen da sein, den Schwachen im Unglück zur Seite stehen – mehr wertschätzen als bisher.
Das steht an
Die kommende Bundesregierung täte gut daran, sich für dieses Thema zu engagieren. Und sich für Methoden zu interessieren, wie Menschen für diese Berufe gewonnen werden können. Als Erstes könnte die Bundesagentur für Arbeit den ErzieherInnenberuf zum Mangelberuf erklären. Daneben aber gilt für alle sozialen Berufe, dass sie besser bezahlt werden müssen.
Ein Stundenlohn von weniger als 30 € brutto für Pflegekräfte und ErzieherInnen ist indiskutabel. Verglichen mit Managergehältern wäre das immer noch ein Hungerlohn.
Geht man von dieser Seite an das Problem des Fachkräftemangels heran, lässt er sich beheben. Und ein Qualitätssicherungsgesetz hätte Chancen auf Erfolg.
Quelle: www.fruehe-bildung.online, von Prof. Dr. Hilde von Balluseck