Mut & Solidarität für klischeefreie Vielfalt in Kitas
Im Anschluss eines Konzertes der Kinderliedermacherin Suli Puschban und einer Lesung der Kinderbuchautorin Susanne Scheerer, lud die Koordinationsstelle zur Filmpräsentation und Podiumsdiskussion ein. Suli Puschban rockte die Kinder der Kita Waldräuber mit Hits wie „Supergirl“ und „Ich habe' die Schnauze voll von Rosa“, also Songs, die Rollenklischees auf den Kopf stellen. Susanne Scheerer las aus ihrem Bilderbuch „Zwei Mamas für Oskar“ die Geschichte einer Regenbogenfamilie vor.
Die von der Koordinationsstelle umgesetzten zehn Filmspots zeigen die gelebte Vielfalt in Kitas und thematisieren die damit einhergehenden Herausforderungen für die Erzieher/innen. „Fachkräfte die professionell und wertschätzend mit Vielfalt umgehen, stärken Kinder in ihrer Persönlichkeit“, sagt Sandra Schulte, Fachreferentin in der Koordinationsstelle.
Zehn Filmspots erzählen von Vielfalt
Der Filmspot in der Kita Koboldland in Dresden zeigt ein buntgemischtes Team. In der Kita Eulennest in Finkenau arbeitet eine junge Frau mit Down Syndrom im Hauswirtschaftsbereich einer Kindertageseinrichtung. Die Regelkita Worpsweder Straße in Schwanewede hat einen schwerbehinderten Jungen aufgenommen. Die evangelische Kita St. Johannis in Berlin sucht den interreligiösen Dialog und besucht mit ihren Kindern eine Moschee, in der gleichen Einrichtung arbeitet die Erzieherin Cihan Revend, die selbst vor vielen Jahren als Geflüchtete nach Deutschland kam.
In der Kita St. Marien in Sedelsberg wird das Spielzeug der Kinder genderkritisch sortiert, die Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH beleuchtet den erweiterten Familienbegriff. Die Pro Inklusio Fachschule nimmt Gender als Botschaft in Kinderbüchern unter die Lupe und die Euro Akademie hat ein Memory zur Vielfalt der Familienformen entwickelt. Zum guten Schluss berichten zwei Diversity- und Gender-Beauftragte aus ihrem Alltag. Nach jedem Spot gab es murmelnde Zustimmung im Publikum und Applaus.
Podiumsdiskussion und Überreichung der Erklärung
Die anschließende Podiumsdiskussion mit Caren Marks, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), mit Suli Puschban, Susanne Scheerer, Petra Wagner von der Fachstelle Kinderwelten für vorurteilsbewusste Erziehung und Bildung, und dem Diversity- und Gender-Beauftragten und Erzieher von INA.KINDER.GARTEN, Patrick Canducci drehte sich um die Frage, wie Politik und Fachpersonal in Zeiten, in denen Vielfalt immer öfter als Zumutung deklariert oder infrage gestellt wird, (re)agieren können.
Sowohl Kinderliedermacherin Suli Puschban als auch Susanne Scheerer sagten, dass sie die Kinder über Kunst, Musik und Geschichten erreichten und auf emotionale Art und Weise abholen würden. Beide vermitteln authentisch ihre Botschaften. Suli Puschban singt nicht nur Lieder, die Rollenklischees auf den Kopf stellen und traditionelle Familienformen aufbrechen. „Ich spreche die Kinder in ihrem ganzen Sein an so wie ich mich mit meinem ganzen Sein einbringe“, sagt die offen lesbisch lebende Sängerin.
Susanne Scheerer ist nicht nur Verfasserin des Buches „Zwei Mamas für Oscar“, sie spricht aus Betroffenheit, denn sie und ihr Mann hatten sich entschieden, einem befreundeten lesbischen Paar ihren Kinderwunsch zu erfüllen. „Wenn wir das unseren Kindern erklären wollen, brauchen wir dazu Geschichten“, sagte sie. Das Bilderbuch „Zwei Mamas für Oscar“ entstand – mit einem Erklärteil über Samenspende. Die Kinder selbst würden sich weniger für die zwei Mütter interessieren, sondern für das im Buch vorgestellte Prinzip der Solidarität, betonte Susanne Scheerer. Es faszinierte die Kinder, dass ein befreundeter Mann den Frauen seinen Samen spendete, um ein Kind bekommen zu können. „Sie lernen hier, dass alle gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, wenn wir Privilegien teilen.“
Patrick Canducci sprach über das Problem, dass viele Männer in Kitas immer noch haben, wenn es um das Wickeln der Krippen-Kinder geht. Er betonte, dass er selbst noch keine negativen Erfahrungen gemacht habe, das Problem aber von Kollegen kenne. Er gibt zu bedenken, dass solche Vorurteile junge Männer davon abhalten könnten, freudig in den Beruf hineinzugehen. Die Frage: „Dürften dann männliche Kinderärzte auch keine Kinder mehr untersuchen?“, lässt er im Raum stehen.
Petra Wagner erzählt von dem Shitstorm, der über eine Einrichtung losgegangen ist, als die Kitaleitung im Februar dieses Jahres die Bitte an die Eltern herangetragen hatte, die Faschingskostüme ihrer Kinder reflektiert zu hinterfragen, um keine Stereotype zu bedienen. Angekommen in der Öffentlichkeit war ein Verbot von Indianerkostümen mit der Konsequenz, dass Kitaleitung und Erzieher/innen beschimpft und bedroht wurden. „In dem Wort Zumutung steckt das Wort Mut“, sagte sie in Hinblick auf die Fragestellung ob Vielfalt eine Zumutung sein könne. Und Mut brauche es tagtäglich, um das anzusprechen, was zu Ausgrenzung, Diskriminierung und Marginalisierung führe. „Wenn Kitas sich nicht gemeinsam auf den Weg machen, kann eine einzelne Erzieherin, die etwas anspricht, Probleme bekommen.“ Deswegen bedürfe klischeefreie Vielfalt der Solidarität, wie sie beispielsweise im Aktionsbündnis zum Tragen kommt.
„Vielfalt ist nie eine Zumutung, sondern immer etwas Positives“, sagte hingegen Staatssekretärin Caren Marks. „Vielfalt gibt es in jeder Kindergruppe und in jeder Kindertageseinrichtung. Dort können Kinder gesellschaftliche Vielfalt kennenlernen und ein wertschätzendes Zusammenleben üben – jenseits von Klischee- und Rollenbildern.“ Zuvor hatte sie mit Studierenden der Euro Akademie eine im Unterricht konzipierte Ausstellung zum Thema Umgang mit Vielfalt besucht. „Man muss die Menschen mit Kopf und Herz erreichen, um Vorurteile gegen Vielfalt abzubauen“, war ihr Resümee.
Zum Abschluss überreichten ihr Ulla Steuber, Schul-Koordinatorin im vom Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ an der Procedo-Berlin GmbH, und Jens Krabel, Fachreferent in der Koordinationsstelle „Chance Quereinstieg/Männer in Kitas“ im Namen aller Bündnispartner*innen eine gemeinsame Erklärung. In ihr betonen die Bündnispartner*innen, dass gerade Kindertageseinrichtungen als erste Stufe des Bildungssystems in vieler Hinsicht vielfältiges Zusammenleben wertschätzend gestalten und Inklusion fördern. Dafür benötigten und verdienten sie gesellschaftliche Anerkennung – und angemessene Rahmenbedingungen.
Bundesweite Aktionen für Vielfalt
An diesem besonderen Tag machten die Bündnispartner*innen zeitgleich zur Veranstaltung in der Euro Akademie mit weiteren Aktionen darauf aufmerksam, welchen wertvollen Beitrag Kindertageseinrichtungen und Erzieher*/innen für eine heterogene vielfältige Gesellschaft leisten. Es fanden u.a. Aktivitäten in Frankfurt, Hannover, Meißen, Aschersleben, Hoyerswerda, Bonn, Koblenz, Bad Homburg, Dresden und Berlin statt. Dazu gehörten eine Luftballonaktion, Diskussionsrunden, Bücherempfehlungen und Lesungen, die Vorstellung eines Medienkoffers zum Thema Vielfalt, ein Verkleidetag zum „aus der Rolle fallen“ mit Fotoshooting und ein Filmfestival.
In Berlin besprühten Aktivist/innen der Fachschule für Sozialpädagogik „Pro Inklusio“ die Bürgersteige rund um ihr Schulgebäude mit Schubladen. Denn Schubladen stehen immer noch für das eingleisige Denken vieler Menschen. Immer wieder stellten sich Menschen hinein, nur ein 5-jähriger Junge nicht. Er positionierte sich daneben und sagte: „Ich will keine Schublade sein!“
Zeitgleich bildeten die Kinder der Einrichtungen der ASB Lehrerkooperative in Frankfurt am Main am Ufer des Flusses eine Menschenkette –, aber erst nachdem sie bunte Blüten als Zeichen der Vielfalt in den Main geworfen hatten.
So lenkte der Aktionstag bundesweit den Blick auf die vielen guten Beispiele, die zeigen, wie wertschätzendes Zusammenleben gelernt werden kann.
Staatssekretärin Caren Marks dankte dem Bündnis für 'Klischeefreie Vielfalt in Kitas', dass es mit dem Aktionstag das Thema Vielfalt in der Kinderbetreuung in den Fokus gerückt hatte. Viele Bündnispartner*innen äußerten den Wunsch, den Aktionstag zu verstetigen und dass das Bündnis weiterbesteht. Eine Teilnehmerin sagte: „Das war erst der Anfang.“ Gérard Leitz, Berater bei Socius – die Bildungspartner“, ergänzte: „Wir haben noch viel zu tun.“