30.05.2018

Die unterschiedlichen Ausgangslagen waren schwierig unter einen Hut zu bringen

„Es ist schade, dass wir an diesem Punkt aufhören müssen. Aber wir konnten auch einiges erreichen. Besonders die Kooperation mit der Fachschule für Sozialpädagogik ist sehr gut geworden.“ Interview mit Andrea Dechau, Stormarn

Foto: privat

Andrea Dechau ist Fachbereichsleitung und pädagogische Fachberatung der Kindertagesstätten + Horte bei der AWO Soziale Dienstleistungen gGmbH in Stormarn. Sie erzählt über ihre Schwierigkeiten, das ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ in Schleswig-Holstein zu etablieren, aber auch über bisherige Erfolge. Nach dem 2. Jahrgang wird das Projekt Quereinstieg in Stormarn (Questo) eingestellt.

Frau Dechau, wie viele Quereinsteiger/innen befinden sich derzeit in Ihrem Projekt in der Ausbildung?

Wir haben ja nur den ersten und den zweiten Jahrgang. Im ersten Jahrgang haben wir noch zehn aktiv Teilnehmende, einen Mann und neun Frauen. Zwei pausieren, jeweils ein Mann und eine Frau,  unter anderem um die eigenen Kinder betreuen zu können.  Zu Beginn waren es 25 Teilnehmende, fünf Männer und 20 Frauen. Im zweiten Jahrgang sind 14 Teilnehmende, drei Männer und elf Frauen.

Wie viele Quereinsteiger/innen werden dieses Jahr ihren Abschluss machen?

Zehn Teilnehmende.

Wie alt sind die Quereinsteiger/innen im Durchschnitt?

Wir haben Teilnehmende von Anfang 30 bis um die 50 Jahre.

Aus welchen Berufen kommen die Bewerbungen?

Viele kommen aus dem kaufmännischen Bereich, aber auch Zahnarzthelfer/innen, Regisseure/innen, Grafik-Designer/innen. Wir haben auch viele Menschen aus dem kreativen Bereich.

Sie sind mit 25 erwachsenen Frauen und Männer ins Programm gestartet. Heute sind noch zwölf im ersten Jahrgang, von denen zwei pausieren. Was waren die Gründe für den Abbruch?

Ja, das ist eine traurige Geschichte. Wir hatten eine absolut hohe Nachfrage, weit über 100 Interessenten/innen, wir mussten keine Akquise machen. Da das Projekt jedoch so kurzfristig gestartet ist, hat es extreme Schwierigkeiten gemacht. Auch Schleswig-Holstein hat sich erst spät entschieden mitzumachen. Zudem findet in Schleswig-Holstein die Auswahl über die Schulen statt und diese Auswahl geht über die Noten. Das hat einigen den Einstieg sozusagen ein bisschen verdorben. Wir hätten uns auch im Projektverlauf mehr Unterstützung seitens der Landesebene erhofft.

Wieso das?

Wir haben zwar ein Assessment Center durchgeführt, bei beiden Jahrgängen, aber haben letztendlich die Schulen über die Aufnahme der Bewerber/innen entschieden. Ich persönlich finde das Assessment wichtig, auch für die Bewerber/innen. Hier können sie noch einmal prüfen, ob das auch wirklich ihr Berufsfeld ist. Aber wir waren im Zeitdruck. Die Schule hatte ihre Noten-Vorgabe, wir haben die Menschen inhaltlich und fachlich eingeschätzt. Aber dennoch sind im ersten Jahrgang Menschen ins Programm gekommen, die nicht unbedingt unsere Zielgruppe waren. Die hatten sich sowieso schon für die Erzieher/innen-Ausbildung interessiert und strebten die schulische Ausbildung an. Als sie vom bezahlten ESF-Bundesmodellprogramm hörten, sind sie umgeschwenkt, haben sich beworben und sind ins Programm gerutscht. Das konnten wir vorher nicht richtig erkennen, weil der Zugang durch die Schule kam. Das fand ich schwierig. Dann haben verhältnismäßig viele von ihnen gemerkt, wie zeitaufwändig diese Form der Ausbildung ist und sind wieder in die vollzeitschulische Ausbildung gewechselt, weil sie dort mehr Zeit oder mehr Urlaub hatten. Das war ein Riesenthema im ersten Jahrgang, und wir haben dadurch sehr viel mehr zu tun gehabt. Wir hatten das völlig unterschätzt. Das Problem war, dass die Teilnehmenden sich nicht vergleichen konnten. Ihre Vergleichsgruppe war diejenige, die die vollzeitschulische Ausbildung machte – und bei den Vollzeit-Fachschüler/innen haben sie nur gesehen, dass diese ja Ferien haben, währenddessen sie in den Schulferien in die Kita mussten. Wir konnten ihnen das nicht vermitteln. Erst nach dem Barcamp, einer Veranstaltung für Teilnehmende des ESF-Bundesmodellprogramms, das im November 2016 in Berlin stattfand, hat sich etwas geändert. Hier haben unsere Quereinsteigenden andere Teilnehmer/innen kennengelernt. Unsere Teilnehmenden kamen mit einer anderen Einstellung zurück, weil sie den Austausch mit den anderen hatten. Sie konnten sich vergleichen und merkten, dass bei uns nicht alles schlecht läuft. Der Austausch mit anderen Teilnehmer/innen in einer ähnlichen Situation hätte viel eher stattfinden müssen, das hätte uns wahrscheinlich einige Teilnehmende erhalten.

Gab es noch andere Gründe für den Abbruch?

Ja, für einige kam dann doch finanziell nicht so viel rum, wie sie sich vorgestellt hatten. Wer eine/n Partner/in hatte, die bzw. der genug verdiente, wechselte auch in die vollzeitschulische Ausbildung. Interessant war auch ein anderer Aspekt, den ich besonders bei Männern beobachtet habe. Einige von ihnen haben sich mit der Ausbildung einen Herzenswunsch erfüllt, Erzieher zu werden. Sie trugen den Herzenswunsch schon lange Zeit in sich, dann erfüllten sie ihn sich. Sie hatten sich selber aber im Laufe der Jahre verändert und merkten, dass sie gar nicht mehr wie die Person waren, die sich den Beruf gewünscht hatte. Die Realität deckte sich nicht mit ihrem Traum, das war für sie ein Grund, die Ausbildung wieder abzubrechen. Wir haben die Erkenntnis daraus gezogen, dass die Biografiearbeit im Vorfeld noch einmal ganz anders gestaltet werde müsste. So müsste man gemeinsam mit den Kandidaten/innen die biografisch begründeten Motive für die Berufswahl genauer erforschen, um späteren Enttäuschungen und Abbrüchen vorzubeugen.

Läuft der zweite Jahrgang besser?

Ja, da haben wir viele dieser Probleme überhaupt nicht. Weil wir im ersten Jahrgang so viele strukturelle Probleme hatten, konnten wir im zweiten schon besser damit umgehen. Wir konnten uns anders vorbereiten, weil wir einfach mehr Zeit hatten. Für den 2. Jahrgang hatten wir 155 Interessierte und 115 Bewerbungen. Deswegen bin auch schon sehr traurig, dass wir das Programm nicht fortführen können, denn das Interesse ist da. Für den 3. Durchgang hatten wir schon 197 Interessierte. Durch den längeren Vorlauf konnten wir uns besser mit der Schule abstimmen. Beim Assessment Center für den zweiten Jahrgang waren auch Lehrende von der Schule dabei, damit die sehen konnten, auf welche Punkte wir achten. Für uns pädagogische Fachkräfte und auch für die Lehrenden war das eine gute Erfahrung, denn wir sind ja zwei Berufsgruppen, die im Alltag nichts miteinander zu tun haben. Die Kooperation mit der Fachschule ist richtig gut geworden und ich denke, dass wir die Ausbildung im dritten Jahrgang aufgrund unserer Erfahrungen noch besser hätten gestalten können.

Mit welchen Vorstellungen sind Sie vor knapp drei Jahren gestartet? Was haben Sie sich vom Projekt „erträumt“?

Schon im Vorfeld haben viele Menschen angefragt, weil sie diesen Beruf gerne ausüben möchten – auch Quereinsteigende, die sich aber nicht leisten konnten, eine unbezahlte Ausbildung zu machen. Dann kam dieses Projekt rein und ich dachte, das ist ja wunderbar, das ist genau das, was es braucht. Die Idee fand ich großartig, neue Zielgruppen zu erschließen. Da bin ich sehr drauf angesprungen. Ich erträumte mir auch, dass wir Fachkräfte ausbilden können, die dann für die Theorie keine weite Anreise nach Hamburg, Lübeck oder Mölln machen müssen, weil sie die schulische Ausbildung an der Beruflichen Schule in Bad Oldesloe machen können, die zum Kreis Stormarn gehört. Ich fand es war eine großartige Idee, Menschen in diesem Raum auch Beschäftigung zu bieten. Kurze Anfahrtszeiten waren auch ein Kriterium, das mir Teilnehmende kommuniziert haben. Denn wer weit fahren muss und auch noch Kinder hat, bekommt die Ausbildung nur schwer oder überhaupt nicht umgesetzt. Zudem erträumte ich mir von der Öffnung des Berufes, seine Wertigkeit breiter zu fächern, denn vielen ist es gar nicht klar, was die Leute da für einen Job machen. Ein anderer Punkt war, multiprofessionelle Teams aufzubauen, die neben ihren Kompetenzen auch pädagogisch gut ausgebildet sind. Ich halte nichts davon, nichtqualifizierte Menschen in den Kindertagesstättenbereich reinzunehmen. Die Kita ist für mich genauso eine Bildungseinrichtung wie eine Schule, deswegen meine ich, dass sie genauso ausgestattet sein müsste – von den Fachkräften wie von der Finanzierung. Und ganz klar, die Chance, 75 Fachkräfte zusätzlich für den Kreis Stormarn zu gewinnen.

Und wo stehen Sie jetzt mit Ihren Träumen?

Ausgeträumt. Obwohl der Traum berechtigt war, auch wenn wir nach dem zweiten Jahrgang aufhören.

Was war der Grund für die Verkürzung im Projekt?

Das Modellprojekt stand vor dem strukturellen Problem, dass wir als Projektträger mit verschiedenen Kommunen zusammenarbeiten mussten, die alle unterschiedliche Voraussetzungen und Interessen haben. Die unterschiedlichen Ausgangslagen waren nicht unter einen Hut zu bringen. Wir leben hier in einer ländlichen Region, wo man viele verschiedene Ansprechpartner/innen hat. Mal entscheidet die Politik, mal die Verwaltung, dann hat der Bürgermeister doch nicht so viel zu sagen. Diese Absprachen haben uns unheimlich viel Zeit gekostet. In ländlichen Regionen tickt die Welt noch anders als in einer Großstadt. Wir hatten zwei Städte – Ahrensburg und Barsbüttel – die mit uns zusammenarbeiten wollten. Sie haben eigene Einrichtungen und hatten die Probleme mit dem Fachkräftemangel schon erfahren. Die haben sofort mitgemacht und Geld in die Hand genommen. Andere Städte hingegen überhaupt nicht. Der ganze Traum, Menschen in ihrem Einzugsgebiet in Arbeit zu bringen, ging nicht auf.

Zum Beispiel wollte  sich die Stadt Bad Oldesloe nicht beteiligen. Diejenigen, die dort leben und arbeiten wollten, mussten dann nach Ahrensburg fahren. Das ist ärgerlich. So finanziert Ahrensburg eine Fachkraft, von der die Einrichtungen in Bad Oldesloe später profitieren, weil sie gut ausgebildete Fachkräfte übernehmen, die sie nicht finanziert haben. Wir haben es sehr unterschätzt, wir hatten nicht damit gerechnet, dass so viele nicht mitmachen. Das hat uns ganz viel an Kraft und Energie gekostet. Jetzt haben wir den dritten Durchgang aufgrund der Tatsache, dass die Kommunen nicht mitmachen, nicht durchführen können. Trotz der hohen Zahl an Bewerber/innen. Niemand fühlte sich zuständig, ich wurde von einer Stelle zur anderen Stelle verwiesen, niemand wollte zahlen. Das Projekt ist bei uns in Stormarn an mangelnder Zusammenarbeit, wenig Bereitschaft zur Kooperation und am Abarbeiten bürokratischer Hürden gescheitert.

Hat es sich gelohnt, sich für das Projekt stark zu machen?

Ich hatte nicht nur einen Traum, ich hatte eine Vision. Es ist richtig gewesen, dass wir  am Programm teilgenommen haben, denn nur auf diesem Weg, über ein Projekt, kann man das Thema Fachkräftegewinnung politisch so aufs Trapez bringen, dass sich irgendwann mal etwas bewegt. Wir sind sehr zufrieden, wie wir das Projekt letztendlich inhaltlich und fachlich umsetzen konnten. Wir haben gute Sachen erreicht. Besonders die Kooperation mit der Fachschule für Sozialpädagogik ist sehr gut geworden. Fachkräfte aus unserem Kompetenzbereich, die ich weitergebildet habe, bieten dort beispielsweise unterrichtsergänzende Einheiten an, wie etwa Musik. Das wird hervorragend angenommen. Wir hatten im letzten Jahr auch eine Veranstaltung zum Thema „Umsetzung der Kinderrechte“, zu der auch Lehrkräfte der Fachschule gekommen sind. Fachlich und inhaltlich ist also wirklich etwas passiert. Denn was die Lehrenden vor 20 Jahren gelernt haben, hat mit dem Status der Kinder und Jugendlichen in der heutigen Gesellschaft oft nicht mehr viel zu tun. So sprechen wir heute beispielsweise nicht mehr von Elternarbeit sondern von Erziehungspartnerschaften. Solche Veränderungsprozesse gehören natürlich auch in die Ausbildung. Und das können wir im Austausch wunderbar vermitteln. Auf der anderen Seite haben wir uns an einem Stellenmarkt beteiligt, den die Schule durchgeführt hat.

Ihr Resümee?

Es ist schade, dass wir an diesem Punkt aufhören müssen. Aber wir konnten auch einiges erreichen. Zum Beispiel konnten wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass eine gute Praxisanleitung den gleichen Stellenwert hat wie die schulische Ausbildung. Zudem sind durch das Programm auch Querschnittsthemen auf den Tisch gekommen wie beispielsweise Männer in Kitas, Diversität und Genderthemen. Dadurch sind viele Kollegen und Kolleginnen aufgewacht. Das alles ist ein langer Prozess. Diese Arbeit müsste weitergeführt werden. Damit unser Engagement auch Früchte trägt. Der Austausch mit den anderen Projekten im Quereinstieg, war auch sehr wichtig und ich finde es großartig, dass ein gemeinsames Diskussionspapier zur Thematik entstanden ist.

* Im Rahmen des Bundesmodellprogramms „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“ fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in den Jahren 2015 bis 2020 bundesweit Projekte aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF), die für die besondere Zielgruppe der Berufswechslerinnen und Berufswechsler erwachsenengerechte und geschlechtersensible Ausbildungsmöglichkeiten zur/zum staatlich anerkannten Erzieherin/Erzieher schaffen oder weiterentwickeln. Im Programm werden die Fachschülerinnen und Fachschüler parallel zu ihrer Ausbildung in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis in einer Kita beschäftigt und erhalten eine angemessene Vergütung.