03.11.2019

Ein Wickelverbot hat nichts mit Kinderschutz zu tun

Kathrin Janert, Vorstand, Ev. Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte-Nord, zählte am Anfang des Bundesmodellprojekts 8 Prozent erziehende Männer in ihrem Verband. Seit 2014 sind es 14 Prozent.

Foto: privat.

An welches Erlebnis mit der Koordinierungsstelle „Chance Quereinstieg / Männer in Kitas“ denken Sie gerne zurück?

Meine erste Begegnung mit der Koordinationsstelle (damals) „Männer in Kitas“ hatte ich zur feierlichen Übergabe der Fördermittelbescheide für das Bundesmodellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ im Bundesministerium. Für mich war das sehr aufregend, ungewiss und der Beginn einer bis heute andauernden engen vertrauensvollen Zusammenarbeit.

Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie wichtig es am Anfang des Bundesmodellprojekts war, immer wieder deutlich zu machen, dass Männer in Kitas für alle Kinder, unabhängig von ihrem Geschlecht, wichtig waren und sind. Gerade in Bezug auf die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit war es notwendig, sich eindeutig und klar zu positionieren, um nicht alte Klischees zu bedienen (der Fußball spielende Erzieher, die bastelnde Erzieherin, Männer als Ersatzväter für alleinerziehende Mütter, bessere Bezahlung, weil sonst männliche Erzieher nicht ihre Familie ernähren können, etc).

Vor allem die Projekttreffen waren geprägt von einer Atmosphäre des Aufbruchs, mit anderen Trägern aus dem Bundesgebiet in einen wertschätzenden kollegialen Austausch zu treten, inhaltlich zu Genderthemen zu diskutieren und sich mit Gleichstellungsfragen im frühkindlichen Bereich auseinanderzusetzen. Alle Veranstaltungen waren durch die Koordinationsstelle konzeptionell und inhaltlich sehr gut vorbereitet.

Wir haben in den letzten Jahren u.a. im Rahmen des Themenfelds „Männer in Kitas“ in Kontakt gestanden.Wie hat sich das Themenfeld in den letzten Jahren entwickelt?

Als wir uns für das Projekt beworben hatten, waren bereits knapp 8% unserer Mitarbeiter*innen männlich. Dieser Anteil lag bereits weit über dem Bundesdurchschnitt. In der Regel konzentrierten sich die männlichen Fachkräfte in einigen Kitas. Selten gab es nur einen Mann in einer Einrichtung.

Mittlerweile haben wir einen Anteil an männlichen Erziehern von 14% und das stabil seit 2014.

Am Beginn des Projekts war es uns vor allem wichtig, alle Kitas des Verbands in dieses Projekt einzubeziehen. Mit „Gender Loops“ reflektierten die Kitateams ihre Haltung und Konzeption zum Thema „Geschlechtersensible Pädagogik“. Einige Modellkitas entwickelten eigene Projekte dazu.

Es gab anfänglich auch Irritationen. Ein Arbeitskreis für männliche Erzieher wurde konstituiert, viele konzeptionelle Ideen kamen aus der klassischen Jungenarbeit, die ausschließlich Jungen in den Blick nahmen, das öffentliche Interesse richtete sich plötzlich ausschließlich auf männliche Erzieher.

Es brauchte einige Energie, dies zu korrigieren und den Blick auf Jungen und Mädchen, Erzieherinnen und Erzieher zu richten. Das trägerinterne Genderkonzept wurde gemischtgeschlechtlich entwickelt.
Ein weiteres Thema war die Auseinandersetzung mit dem Thema „Generalverdacht“, welches dann im Verlauf des Projekts durch den Begriff der pauschalisierten Verdächtigungen ersetzt wurde.

Vor allem in dieser Frage unterstützte die Koordinationsstelle. Eine klare Positionierung des Trägers, ein veränderter Leitfaden für Einstellungsgespräche, Fortbildungen zur Sexualpädagogik und erste konzeptionelle Schritte hin zu einem Schutzkonzept folgten.

Ich erinnere mich noch gut an den Filmabend für Mitarbeiter*innen, bei dem wir „Die Jagd“ gezeigt haben und Jens Krabel die anschließende Diskussionsrunde auf seine ruhige, besonnene und professionelle Art moderierte. Noch heute, sechs Jahre später, sprechen einige Mitarbeiter*innen davon.

Mein persönlich einschneidendstes Erlebnis war ein Bewerbungsgespräch. Ein männlicher Erzieher hatte sich beworben. Zum Gespräch kam er geschminkt und in Frauenkleidern und High Heels.

Hier kam ich an meine eigenen Vorurteilsgrenzen. Sofort waren die zu erwartenden Diskussionen mit Mitarbeiter*innen und Eltern in meinem Kopf. Ich konnte dies im Gespräch aussprechen, und ich erinnere mich an ein lebhaftes Gespräch. Im Jahr 2012 waren die Themen Diversität und LGBTQ noch nicht so präsent. Heute wäre ich nicht mehr irritiert.

Was braucht es künftig für das Themenfeld „Männer in Kitas“?

Immer wieder erlebe ich in Bewerbungsgesprächen oder Trägerveranstaltungen, dass noch heute männlichen Erziehern untersagt ist, Kinder zu wickeln, sich allein mit ihnen in einen Raum aufzuhalten oder ein Kind zu trösten.

Das macht mich nach wie vor fassungslos. Meines Erachtens hat das weder mit Kinderschutz, noch mit Mitarbeiterschutz zu tun, sondern verhindert die Auseinandersetzung mit Themen wie präventiver Kinderschutz, Umgang mit pauschalisierten Verdächtigungen einschließlich der Klärung von professioneller Nähe und Distanz gegenüber Kindern.

Kinder haben ein Recht auf liebevolle und professionelle Begleitung von Erzieherinnen und Erziehern in allen Bereichen des Kitalltags.

Ich würde dies einbetten in das große Thema des Schutzes vor Diskriminierung. Hier brauchen wir eine Koordinationsstelle, die sich dieses Themas annimmt, bestehende Konzepte bündelt, weiterentwickelt und öffentlich transportiert.